Dieser Text erschien zuerst in der Kolumne „Einwurf aus der Rosenau Gazette“ bei presse-augsburg.de.
1/5 der Saison 2020/21 ist auch schon wieder gespielt. Unser FCA hat sich bisher sehr respektabel geschlagen. Zwar hat man Niederlagen gegen Leverkusen und Leipzig und Hertha kassiert, dafür konnte allerdings gegen Dortmund gewonnen werden. Dazu konnte man die direkte Konkurrenz fernhalten, indem man gegen Union Berlin und Mainz 05 gewann. Für die spielentscheidenden Momente sorgte die Alte Garde. Im Folgenden will ich einmal betrachten, wie sich die Kaderstrategie des FC Augsburg aus diesem Sommer hier widerspiegelt. Das Gerüst der Mannschaft hat sich verändert. Stefan Reuters Handschrift ist dennoch wieder deutlich zu erkennen. Eine Handschrift die auch sagt: wir sind in Augsburg mehr als ein Ausbildungsverein.
Die Rolle des FCA auf dem Transfermarkt
Insgesamt scheint sich die Rolle des FC Augsburg auf dem Transfermarkt verändert zu haben. Der FC Augsburg muss seine Strategie wohl auch aus wirtschaftlichen Gründen an die mittlerweile übliche Herangehensweise anpassen. Vereine wie der SC Freiburg oder der FSV Mainz 05 sind da schon viel weiter. Abdou Diallo hat den Mainzern einen Transfergewinn von ca. 23 Mio. EUR eingebracht. Caglar Söyüncü hat dem SC Freiburg einen Transfergewinn von ca. 18 Mio. EUR eingebracht. Mainz hatte mit Gbamin dazu einen weiteren Transfer dieser Größenordnung. Bei uns in Augsburg ist der Baba-Verkauf an den FC Chelsea jetzt schon wieder ein paar Jahre her und bisher der einzige Transfer in dieser Größenordnung. Mit Philipp Max hatte man lange einen Spieler unter Vertrag, bei dem man auf einen hohen Transfergewinn spekulierte. Mit seinem Wechsel zum PSV Eindhoven sind diese Hoffnungen jäh zerplatzt. Nicht einmal 10 Mio. EUR konnte der FCA einstreichen. Dazu hat Max bei seinem Wechsel vom KSC auch schon ca. 3,5 Mio. EUR gekostet. Insgesamt steht so über die letzten 10 Jahre das siebtgrößte Transferminus über alle deutschen Clubs hinweg.
Das größte Glück des VfL Wolfsburg ist, dass es bundesweit zu wenige Leute interessiert, was man dort aus seinen Möglichkeiten macht.
Was für eine zweite Halbzeit. #BSCWOB
(Quelle: https://t.co/sZeufj2Cm8) pic.twitter.com/2LFq6qTpkl
— Max-Jacob Ost (@GNetzer) November 1, 2020
Mehr als 30 Mio. EUR hat man mehr ausgegeben als eingenommen. Derweil erwirtschaftet man weiter Gewinne – zumindest in den Zeiten vor der Coronapandemie. Das Bild wird nur dadurch rund, dass der FCA dafür an anderen Stellen einspart. Bei den Gehältern der Spieler zahlen wir dadurch immer noch mit am schlechtesten. Der FCA muss aufpassen, dass er wirtschaftlich nicht ins Hintertreffen gerät, wenn er sich durch fehlende Transfergewinne keinen so teuren Kader wie andere Clubs leisten kann (und Leistungsträger immer wieder gehen wollen).
Es scheint für Vereine in der gleichen Größenordnung wie dem FC Augsburg mittlerweile eine etablierte Strategie zu sein, Talente zu jagen, um diese später gewinnbringend weiterzuverkaufen. Die TSG Hoffenheim hat das Vorgehen perfektioniert mit den Transfers von Joelinton und Roberto Firmino. Die Frankfurter Eintracht hat diesen Weg mit den Verkäufen von Jovic und Haller genauso eingeschlagen, wie RB Leipzig mit dem Verkauf von Naby Keita. Wobei RB Leipzig auf Grund der wirtschaftlichen Unterstützung durch den Hersteller von Brausegetränken nicht auf die Verkäufe angewiesen ist und es sich im Fall von Werner ja auch erlauben konnte, den Spieler länger zu halten. als dies wirtschaftlich vielleicht sinnvoll war. Bei allen anderen Vereinen schlägt meistens die wirtschaftliche Notwendigkeit die sportliche Realität. Auch der FCA kann sich dieser wirtschaftlichen Realität nicht entziehen. In der Vergangenheit hat er sich allerdings nicht wie ein klassischer Ausbildungsverein verhalten – zumindest konnte der FCA nicht die entsprechenden Transfergewinne erzielen.
Die Bedürfnisse des FCA
Im Kader des FCA gibt es grob 3 Spielergruppen:
- Das Gerüst: Florian Niederlechner, Jeffrey Gouweleeuw und Alfred Finnbogason sind drei Beispiele für Spieler in dieser Kategorie. Sie haben ein gewisses Alter und eine gewisse Erfahrung, führen die Mannschaft und sorgen für Stabilität.
- Die Auszubildenden: Ruben Vargas, Marco Richter oder auch ein Felix Uduokhai wären hier zu nennen. Sie strotzen vor Potential und sie werden den Ruf von deutlich besseren Clubs erhalten und diesem folgen.
- Ergänzungsspieler: Jan Morávek und Marek Suchy sind hier zu nennen. Sie sind wichtig, wenn durch Lücken im Kader oder Verletzungen jemand einspringen muss. Ansonsten ist ihnen bewusst, dass sie nur wenig Spielanteile erhalten werden. Sie sollten nicht für Unruhe sorgen.
Für den FC Augsburg ist wichtig, dass diese drei Gruppen im Gleichgewicht stehen. Es braucht genügend Spieler, die das Gerüst bilden. Marwin Hitz war ein solcher Spieler, genau wie Paul Verhaegh. Als beide kurz nacheinander den Verein verließen entstanden entsprechende Lücken. Bei manchen Spielern ist von außen nicht ganz klar, wie sie ihre Rolle sehen. Rani Khedira kann in Augsburg ein Spieler sein, der über viele Jahre das Gerüst bildet. Hat er Ambitionen nochmal bei einem anderen Club durchzustarten? Und wenn einer der Auszubildenden unruhig wird, dann braucht es ein stabiles Umfeld, das das auffangen kann.
Probleme der Ausbildungsvereine
Ein Ausbildungsverein hat allerdings – trotz der hohen Transfergewinne – auch Probleme. Diese Vereine müssen klassisch eine hohe Anzahl an Transfers tätigen. Dadurch, dass viele Spieler in kurzen Abständen den Verein wieder verlassen, braucht es Ersatz. Es muss auf Teufel komm raus gescoutet werden und die Vereine müssen mit ihren Verpflichtungen richtig liegen. Wenn sie Spieler verpflichten, die sich nicht durchsetzen können, sieht es schnell recht duster aus. Nicht nur bleiben dann die Transfergewinne aus, die Vereine landen dann auch schnell im Abstiegskampf oder steigen ab. Es ist ein schwieriger Kreislauf und an sich ist es wahrscheinlich, dass es einen irgendwann erwischt und man um einen Abstieg nicht drum herum kommt. Ohne ein entsprechendes Gerüst wird es dann schwierig den Fall zu bremsen. Es droht ein sportlicher Neuaufbau.
Der Schwerpunkt der Kaderplanung: das Gerüst
Was uns aus Augsburger Perspektive dann bisher vom Abstieg gerettet hat, war das stabile Kadergerüst. Um das Gerüst zu stärken, hatte der FCA in der Vergangenheit einen erfolgreichen Weg gefunden. Er hat Spieler verpflichtet, die – nicht mehr bei vollster Jugend – sich bei anderen Clubs, bei ihrer ersten Bundesligastation, nicht durchsetzen konnten. Daniel Baier konnte sich in Wolfsburg nicht durchsetzen, genau wie Marwin Hitz. Dazu kamen immer mal wieder Spieler, die aus schwächeren Ligen, v.a. der Niederlande, zum FCA kamen, um dort ihre sportlichen Träume in einer großen Liga zu erfüllen. So kamen Paul Verhaegh, Ragnar Klavan oder Jeffrey Gouweleeuw zum FCA.
Entsprechend beurteile ich mittlerweile jeden Transfer danach ob, er das Augsburger Gerüst stärkt. Durch ein starkes Gerüst, benötigen wir weniger Ausbildungs-Transfers und erhalten uns langfristig unsere sportliche Stabilität. Mit Florian Niederlechner ist dem FCA wohl ein solcher Königstransfer im letzten Sommer gelungen. Mit Gikiewicz und Caliguiri hat man in diesem Sommer Treffer gelandet, die das Gerüst zumindest ein paar Jahre unterstützen. Jede Vertragsverlängerung, die dieses Gerüst stärkt, ist wichtiger, als der Neuzugang eines Auszubildenden oder Ergänzungsspielers. Und die Gerüstspieler konnten in Augsburg in Ruhe ihrem Job nachgehen und sich auf das Sportliche konzentrieren. Win-Win.
Der Augsburger Weg
Hätten wir in Augsburg nur versucht, die Strategien anderer Vereine zu kopieren, dann wäre es wohl nie zu 10 Jahren Bundesliga am Stück gekommen. Der FCA hat sportlich am meisten gewonnen, durch die unkonventionellen Transfers von erfahreneren Spielern. Der Kader einer Bundesligamannschaft ist dabei immer in Bewegung und es ist schwierig, diesen im Gleichgewicht zu halten. Der größte Gewinn für den Verein ist es, wenn sich Spieler langfristig binden und hier eine Heimat finden. Wenn Auszubildende später das Gerüst bilden, wie es ein Philipp Max gemacht hat, indem er länger als gedacht blieb. Wenn jemand wie Rani Khedira verlängert.
Wir können uns keine Spieler wie Erling Haaland leisten, aber am Ende würde ich einen Jeffrey Gouweleeuw oder Florian Niederlechner nie eintauschen wollen. Unser Weg ist für uns immer noch der Beste. Wie sonst hätten wir 10 Jahre Bundesliga nacheinander erleben können? Martin Hinteregger weine ich auch deshalb nicht hinterher, weil er von seinem Naturell nicht zum Gerüstspieler taugt. Und die Probleme der letzten beiden Jahre rühren vielleicht schlicht daher, dass das Gerüst der Mannschaft zu wackeln begonnen hat. Nachdem die Transfers im Sommer hier für mehr Stabilität gesorgt haben, kann man nun auch auffangen, dass mit Marco Richter und Noah Sarenren Bazee ein paar der Auszubildenden bisher kaum Akzente gesetzt haben. Heik Herrlich scheint für diesen Weg zudem ein geeigneter Trainer. Und erneut sieht es so aus, als ob Stefan Reuter vieles richtig gemacht hätte.
4 Gedanken zu „Der Mythos des Ausbildungsvereins“