Von Grindavik in die Fuggerstadt

Grindavík ist eine Stadt in West-Island mit ca. 2.500 Einwohnern. In Island geht das nach Aussage von Alfreð Finnbogason schon als Großstadt durch. In der Woche vor dem Spiel gegen Borussia Mönchengladbach, in dem Alfreð immer noch auf Grund einer Wadenverletzung fehlte, unterhielt er sich mit mir über seine Heimat und einige der Dinge, die er in seiner langen Profikarriere gelernt hat. Einem, dem in Königsbrunn mit seinen 30.000 Einwohnern schon die Decke auf den Kopf fiel, begreiflich zu machen, wie es ist aus Island zu kommen und dort zu leben, ist dabei als Aufgabe an sich nicht zu unterschätzen. Wenn man allerdings wie ich, vieles in seinem Leben an der Qualität seiner zwischenmenschlichen Beziehung fest macht, dann ist Island sicher eine Reise wert, wenn alle Menschen dort so freundlich und offen sind wie Alfreð selbst.

Zusammen durch Island

Wenn wir in Island einen Tag zusammen verbringen würden, dann ginge es vom Flughafen zur Blue Lagoon. „Das sind ja nur 10 Minuten vom Flughafen. Von dort würden wir weiter fahren zur Hallgrímskirkja mitten in Reykjavik. Da hat man einen tollen Blick. Das ist auch ein Klassiker. Und von da aus dann auf die Hauptstraße in Island und erst einmal kurz zum Hafen. Wenn man dann noch Zeit hat, dann ginge es zum Geysir, wo das Wasser in einer Fontäne aus dem Boden aufsteigt. Das kann man an einem Tag schaffen und es wäre ein guter Tag.“

Mit dem Fahrrad ein zu umfangreiches Programm für Alfred und mich, wenn wir gemeinsam durch Island touren. Auch beim Wetter ist nicht zu viel Zuversicht angesagt. Aber Spaß hätten wir gemeinsam einigen. (Foto via Imago)

Alfreðs Familie besitzt ein Unternehmen, das im Fischfang und der Fischverarbeitung tätig ist. „Die meisten Menschen wohnen an der Küste. Die Fischindustrie ist wohl immer noch die Hauptindustrie in Island.“ erläutert Alfreð in unserem Gespräch. Fisch isst er selbst immer noch am Liebsten. Wenn er die Wahl hat, dann vor allem isländischen Hummer. „Da muss man Glück haben, das man mal einen bekommt. Die Lieferkette von Fisch nach Süddeutschland ist eher länger. Guter Fisch ist teurer und schwerer zu bekommen“. So wie ich als Kind durch den Hühnerstahl meiner Urgroßeltern gestapft bin, ist Alfreð mit Fisch aufgewachsen.

Bolzplatz Held

Essen würden wir gemeinsam sicher hervorragend. „Im Urlaub esse ich fast täglich Fisch, weil er sehr sehr gut und frisch ist. So bin ich auch aufgewachsen.“ Und übernachten würden in Grindavik“ scherzt Alfreð selbst während des Interviews „um am nächsten Tag noch mehr Zeit zu haben.“ Neben dem Salzfischmuseum könnten wir dann vielleicht auch bei Alfreðs Home Turf vorbei schauen. „Da müssten wir zu der Schule, auf die ich im Alter zwischen 11 und 16 Jahren gegangen bin. Ein Hartplatz. Kleine Tore. Dort habe ich die meiste Zeit verbracht. Und immer wenn ich zu Hause Langeweile hatte, bin ich 5 Minuten dort hin gegangen und habe dort alleine oder mit Freunden gespielt. Gute Zeiten! So einen Platz muss man haben, um die Basis zu lernen und zu spielen“.

Kulturell ist Island sowohl geprägt von europäischen als auch amerikanischen Einflüssen. Björk macht für Alfreð eher Musik für ältere Menschen. Das Wikinger Klischee ist daneben wahrscheinlich genau so ausgelutscht, wie jeder Verweis, den man als Deutscher aufs Oktoberfest im Ausland erleiden muss. Alfreð ist bekennender Oasis Fan. Seine Jugend verbrachte er weniger in der Natur als auf dem Bolzplatz. Fünf gegen fünf. Immer wieder und aus Spaß an der Sache. Die Natur hat er erst später zu schätzen gelernt, seit er Urlaub in Island macht. „Was ich am besten finde, sind die warmen Quellen. Dorthin muss man teilweise eine Stunde wandern. Aber dort bin ich gerne und es ist sehr entspannt.“ Björk und das Wetter vermisst er immer noch nicht. Seine Träume sind andere: „Es ist immer noch meine große Hoffnung, dass Oasis wieder zusammen kommt und ein Konzert spielt, bei dem ich dabei sein kann.“

Die Grundlagen gelernt auf dem Bolzplatz seiner Schule. Die Muskeln entspannt in einer heißen Quelle. (Foto: Christian Kolbert via Imago)

Aus Rückschlägen gelernt

Aus Island wegzugehen war dabei nicht immer leicht. Erste Erfahrungen hat Alfreð in diesem Zusammenhang gemacht, als er noch während der Schulzeit für sieben Monate zu einer Gastfamilie nach Sardinien zog. „Die Sprache nicht zu können, ist anstrengend. Immer im Kopf übersetzen zu müssen. Es dauert immer eine gewisse Zeit bis man die Sprache lernt. Wenn ich isländisch spreche mit meiner Familie und meinen Freunden, dann muss ich gar nicht nachdenken. Wenn man eine fremde Sprache spricht, dann muss man immer nachdenken. Es kostet viel Energie. Und die ersten paar Monate in einem neuen Land, spürt man die Müdigkeit, weil man immer nachdenken muss. Das ist der größte Teil.“ Daneben kennt man sich in Island, wie in einem kleinen Dorf, und es ist sehr sicher. Die Polizei trägt keine Pistolen. In Italien gab es in der Klasse genau einen Schüler mit dem er sich auf englisch verständigen konnte. „Ich konnte auch viel besser englisch als der italienische Englischlehrer. Das war ganz witzig.“ Daneben war Sardinien eine wunderschöne Insel mit den schönsten Stränden in Europa. Alfreð hat dann eben viel Zeit investiert, um selbst italienisch zu lernen und den Anschluss zu finden. Sonst hätte ihn am Wochenende vielleicht niemand mit zum Strand genommen.

Auch der Durchbruch im Profifußball war kein einfacher. Auf seiner ersten Profistation in Lokeren war der Beginn famos, bevor es dann schnell schwierig wurde. „Ich dachte, dass ich sehr gut vorbereitet wäre. Aber es gibt wenig, was dich darauf vorbereitet, in einem anderen Land alleine zu sein ohne Freunde und Familie, wenn es fußballerisch nicht läuft. Ich war jung und ehrgeizig und wusste nicht, was richtig und falsch ist. Ich hätte mir mehr Unterstützung gewünscht, aber das war sehr lehrreich. Das war meine schwierigste Zeit als Profi. Ich kam und in den ersten 4-5 Spielen ging es richtig gut und zwei Monate später war ich nicht mehr im Kader. Es ging sehr schnell in beide Richtungen. Wenn es läuft muss man bodenständig bleiben und ruhig, weil es kann zum Beispiel mit Verletzungen und neuen Trainern so schnell in eine andere Richtung gehen.“ Eine der wichtigsten persönlichen Lernerfahrungen von Alfreð, war es in den vielen Jahren mit Rückschlägen umzugehen zu lernen. In Schweden und auch in den Niederlanden konnte er dann wieder mit seiner Treffsicherheit glänzen.

Glück muss man sich erarbeiten

Nach mittlerweile über 10 Jahren, die er außerhalb von Island Fußball spielt, ist Alfreð die Rolle von Glück bewusst. Es wird ihm im Fußball zu schnell geurteilt, ob jemand gute oder schlechte Arbeit leistet. „Menschen gehen unterschiedlich damit um, wenn es nicht läuft. Ausschlagend ist doch, wie du mit diesen schlechten Phasen umgehst. Wie du da weiter arbeitest. Im Fußball wird oft auf das Ergebnis geschaut und es wird vergessen, was dahinter steckt. Wenn du erfolgreich bist, dann ist es egal wie. Wer Erfolg hat, hat Recht. Und das ist für mich nicht immer richtig. Es gibt für mich schon eine richtige Art die Dinge zu machen. Professionell und mit Respekt“. Derweil gilt aber auch: kein Erfolg ohne harte Arbeit. „Klar, wenn es läuft, dann läuft es. Aber ich glaube nicht zu viel an Glück. Glück muss man sich auch erarbeiten. Aber Kleinigkeiten entscheiden oft, ob man nach einem Spiel der Held oder der Depp ist. Nur mit der Hoffnung auf Glück wird man nicht erfolgreich.“ Das er an sich arbeitet und immer lernen will, erkennt man auch daran, dass er ein abgeschlossenes Sportmanagement Studium hat. Und wir das Interview in fließendem Deutsch führen können.

Bescheiden bleiben und hart arbeiten. Dann kommt das Abschlussglück zurück. Alfred hat gelernt, mit schwierigen Situationen umzugehen. (Foto via Imago)

Seit mittlerweile über 5 Jahren ist Alfreð nun in Augsburg und hat ein Faible für unsere grünen Trikots. „Ich habe mich immer gut in grün gefühlt“ gibt der Profi eine gewisse emotionale Verbundenheit zu. Das Grün unserer aktuellen Auswärtstrikots entspricht genau dem Grünton im Wappen von Breiðablik Kópavogur, der ersten fußballerischen Station Alfreðs im Erwachsenenbereich. Die weiteren Vereinsfarben von Breiðablik Kópavogur sind übrigens – welch Zufall – rot und weiß. Die beiden Bedeutungen des Spitznamens Blikar, den die Mannschaft von Breiðablik Kópavogur laut Wikipedia trägt, waren Alfreð dagegen nicht bekannt. Die eine ist „die Glorreichen“, die andere „die Enten“. Wer darin im Moment nicht die Mannschaft des FC Augsburg wiedererkennt, dem ist auch nicht mehr zu helfen.

Vorbild und Führungsspieler

Am Ende des Gesprächs habe ich nicht nur Island besser kennen gelernt. Ich glaube auch, einen soliden Eindruck von Alfreð Finnbogason selbst erhascht zu haben. Als Rekordtorschütze unseres verehrten Clubs in der Bundesliga (35 Tore bis dato) strahlt er ein natürliches Selbstbewusstsein in seine Fähigkeiten aus. Er weiß, wie er mit schweren Phasen umzugehen hat und dass er sich über harte Arbeit das Glück zurückerobern kann. Und bleibt dabei immer bescheiden.

Ihr erahnt es vielleicht: Alfred Finnbogason ist ein Typ, den ich auch persönlich gerne mag. Er ist halt einfach ein dufter Kerl. (Foto via Imago)

Die Zeit für das Interview ist verflogen. So viele Fragen verbleiben auf meinem Zettel. Was hat es mit dem isländischen „ð“ auf sich? Über seine Zeit in Schweden, wo auch ich ein Jahr verbrachte, konnten wir gar nicht sprechen. Gibt es Ähnlichkeiten in der Kultur, die es ihm dort leichter gemacht haben, durchzustarten? Wo sollte man in San Sebastian essen gehen? In welchem Umfeld fühlt er sich grundsätzlich am wohlsten und was wird er irgendwann aus Augsburg mitnehmen? Aber wer wird von Abschied sprechen wollen. Ein Mensch wie Alfreð Finnbogason ist eine Bereicherung für jedes Team. Wenn wir von Gerüstspielern sprechen, dann ist er jemand, bei dem sich junge Profis viel abschauen können. Hoffentlich noch lange. Ich werde in Zukunft noch genauer hinschauen, gerade wenn wir wieder mal in grün antreten.

Autor: Andy

Wohnt und arbeitet in Frankfurt. Denkt dennoch seit vielen Jahren fast immer an den FCA.

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