Es ist mir heute eine Ehre, dass Stephan Urban – derzeitiger Host des FC Augsburg Podcasts „Auf die Zirbelnuss“ – seine persönliche Geschichte erzählt, warum er Immer noch Original 1907 ist. Wer seine eigene Geschichte auch teilen und uns damit allen eine Freude machen will, der schreibt gerne eine Email an kontakt@rosenau-gazette.de. Viel Spaß beim Lesen und einen schönen zweiten Advent.
Was ist Original 1907? Für mich ist das der Verein aus den Erzählungen von meinem Vater, wie er Helmut Haller im Rosenaustadion gesehen hat, und wie beim Spiel der Hunderttausend die Leute ins Olympiastadion geströmt sind. Die Flutlichtmasten des Rosenaustadions konnte ich damals noch von meinem Kinderzimmer aus sehen, und auch ein bisschen Träumen dort vielleicht mal Bundesligafußball zu sehen.
In dem immer noch besten Fußballmanager „Anstoss 3“ konnte ich diesen Traum sogar noch ein befeuern, und ein bisschen Walther Seinsch spielen und den FCA in die Bundesliga führen. Natürlich dann noch ein paar Schritte weiter als jetzt, mit Meister-, Pokal- und sogar Champions League Titeln, ebenso wie auch einige Weltmeister aus der eigenen Jugend. Wer damals Anstoss 3 mit User-Files gefüttert hat, konnte den Abstieg vor dem Aufstieg direkt mitverfolgen, in der Originalversion aus dem Jahre 2000 mit leicht veränderten Namen war die Mannschaft, die den FCA repräsentierte noch in der damals viergleisigen Regionalliga. Mit den ersten User-Files, die echte Teams und Spieler einführten, schrumpfte die Regionalliga auf zwei Ligen zusammen und der FCA war auf einmal nicht mehr spielbar.
Da ich in den Jahren 1996 und 1997 mich begann für Fußball zu interessieren, begann ich meine Fußballfankarriere als BVB-Fan. Mein erstes Spiel im Rosenaustadion war daher auch ein Ligapokalspiel zwischen Borussia Dortmund und dem FC Bayern. Und ich hätte wahrscheinlich den FCA komplett aus dem Blick verloren, wenn nicht in der Bayernliga das damals großartige Radio Fantasy nicht große Werbung für den FCA gemacht hätte. Zwar reichte es da noch nicht zum Stadionbesuch, aber ich verfolgte zumindest die Spiele im Radio, der Zeitung und kurze Zeit später stieg der FCA wieder zurück in die Regionalliga auf, mit im Gepäck die einzige Auszeichnung bis heute: Rekordmeister der Bayernliga.
Danach warf ich auch hin und wieder einen Blick auf den großartigen Liveticker. Bis es eines Tages hieß: „Großer Tag, der FC Augsburg kann gegen den SSV Jahn Regensburg den Aufstieg in die 2. Bundesliga klar machen und das auch noch gleich um die Ecke im Rosenaustadion.“ Und für mich war klar, das musste ich sehen. Also überredete ich meinen Vater und meinen damals besten Kumpel (Bayernfan, dessen Vater sogar ein Sechzger) Karten zu besorgen. Und ein paar Tage später war ich auf einmal bei meinem ersten FCA-Spiel. Das Spiel lief so, wie ich den FCA die nächsten Jahre auch kennen lernen würde: Nicht ganz einfach. Der FCA brauchte lange um in Führung zu gehe. Kurz davor hatte sogar ein Spieler von Regensburg Gelb-Rot gesehen. Es schien als würde alles für den FCA laufen, bis Mark Römer ebenfalls Gelb-Rot sah und der FCA das Zittern bekam. Postwendend kassierte das Team von Trainer Hörgl noch zwei Tore und ich saß ziemlich bedröppelt auf der Gegengeraden im ausverkauften Rosenaustadion.
Den Spruch den viele damals schon vor dem Spiel auf den Lippen hatten: „Typisch Augschburg!“. Denn das können einige vielleicht nicht glauben, aber der Aufstieg des FC Augsburg durch die Ligen bis in die Europa League hat die Stadt und seine Augsbürger verändert. Bis dahin war die Erwartungshaltung, dass man als Augschburger nichts geschenkt bekommt. Eher, dass die Stadt alles noch schlimmer macht. Baustelle, wo man gerade fahren will: „Typisch Augschburg!“, Nervige Ampelschaltung: „Typisch Augschburg!“, vergebener Aufstieg: „Typisch Augschburg!“
Die folgende Saison gönnte ich mir noch keine Dauerkarte, aber einige Einzelspiele. Und siehe da: der FCA stieg auf. In der zweiten Liga angekommen entbrannte dann endgültig meine Liebe für den FCA. Sofort eine Dauerkarte gegönnt und nie wieder abgegeben. Es folgte eine fulminante Premierensaison, die kurzzeitig sogar so aus sah, als würde der FCA direkt in die Bundesliga marschieren. Obwohl es, vielleicht sogar zum Glück, nicht gereicht hatte, hatte die Saison zwei große Highlights, die den überregionalen Medien ein wenig entgingen: Die beiden Spiele gegen den TSV aus München. Für mich natürlich auch die Verbindung zum FCA meines Vaters. Und die Spiele hielten was er versprach: „Da ging’s immer hoch her.“ Und wie! Also in der Liste der großartigsten Spiele sind die beiden auf jeden Fall dabei. Das Hinspiel in der gesteckt vollen Rosenau ging 3:0 aus, die Löwenanhänger rissen beinahe den Zaun zum Spielfeld nieder. Die Polizei lief auf der Tartanbahn auf. Das war mein erstes Spiel, wo die Luft wirklich geknistert hatte.
Und dann kam in der Rückrunde das Spiel in der Allianz Arena. Die Tickets dafür konnte man Monate vorher schon online bestellen ohne Begrenzung für Augsburger. Der chronisch klamme TSV war bestimmt froh über jeden Euro. Was dann passierte, ist absolut einmalig und wird es in dieser Form nie wieder geben: die symbolische Wiederholung des Spiels der Hunderttausend. Gefühlt halb Augsburg machte sich über die A8 oder per Zug auf in die Landeshauptstadt. Mit im rappelvollen Sonderzug schon Polizisten in voller Montur, natürlich noch mit einem Abstecher über das Verhaspelmoor. Wir, ich mit zwei Kumpels im Gepäck, kamen kurz vor Anpfiff erst ins Stadion, am Platz schon eine Fahne. Der Gästeblock und die zwei Ränge darüber waren als Augsburg-Blöcke gedacht und hatten daher jeweils Fahnen in Rot, Grün und Weiß. Aber von Augsburg-Blöcken zu sprechen untertreibt maßlos. Mehr als das halbe Stadion war in Schwabenhand. Durchs ganze Stadion drangen „AUGSBURG! AUGSBURG!“-Wechselgesänge. Die Stimmung war großartig und die Mannschaft tat ihr übriges. Mit dem 3:0 setze der FCA nicht nur ein sportliches Ausrufezeichen. Nein, für mich war das kein schnödes Ergebnis wie jedes andere. Das war für mich wirklich der Moment, wo mir klar wurde, mit diesem Verein ist ganz Großes möglich. Und ein anderer Gedanke den bestimmt viele unterbewusst hatten: „Wir sind wieder wer.“
Das war wirklich der Anfang vom Ende des Spruchs: „Typisch Augschburg!“ Auch wenn das vielleicht noch nicht bei allen Augsburgern angekommen war. Die nächsten Jahre, die auch teilweise grauenhaften Fußball beinhalteten, zeigten es. Und man schafft das, was der Mannschaft um Helmut Haller verwehrt blieb. Man stieg in die Bundesliga auf. Nicht nur das. Man spielte dann sogar nach zwei hart umkämpften Klassenerhalten großartigen Fußball. Schlug sogar zweimal den großen FC Bayern. Und wurde mit der Europa League belohnt, und das sogar an der altehrwürdigen Anfield Road.
Nach dem Spiel in Liverpool hab ich gesagt: „Das ist der Höhepunkt und geiler wird es nicht mehr“. Ich bin trotzdem noch regelmäßig ins Stadion, habe viele Auswärtsfahrten und Abenteuer erlebt. Und zwischenzeitlich wurde der Fußball wieder grauenhaft. Und ich hab mir in den Jahren unter Manuel Baum ernste Sorgen gemacht und überlegt kürzer zu treten. Und jetzt spielen wir zum zehnten Mal in der Bundesliga und es ist Corona und ich bin seit langem nicht mehr im Stadion gewesen. Und genau jetzt merke ich gerade, wie sehr mir das wirklich fehlt. Denn ich liebe zum einen den FCA, aber zum anderen auch die Leute mit denen ich im Stadion bin. Ein paar ehemalige Arbeitskollegen, aber auch einige Leute die ich sonst nie kennen gelernt hätte. Mir kommen jetzt schon die Tränen beim Gedanken, an das Spiel, wenn auf einmal wieder alle da sind. Meinen Vater werde ich übrigens nicht im Stadion treffen. Nicht weil es im irgendwie schlecht geht, oder so. Nein, weil er es schon lange nicht mehr aushält, da er sich zu oft aufregen muss. Schon seit der zweiten Liga: „Typisch Augschburg!“
Kasse Beitrag, Andy. Das Hier kommt noch eine kleine Anekdote zu dem denkwürdigen Spiel gegen die 60er im August 1973. Die A8 war total verstopft von Autos mit dem Kennzeichen A. Fast alle wollten an diesem 2. Spieltag der Saison 73/74 ins Münchner Olympia-Stadion. Karten gab es längst nicht mehr. Man musste also irgendwie den Zaun überwinden.
Mein Freund und ich dachten, dass wir irgendwie da rüber mussten. Mein Freund Franz, damals Deutscher Studenten-Meister im Turnen, stieg als Erster auf den Zaun. Da sah er Ordner auf den Zaun zulaufen. Er dachte: „Jetzt ist Eile geboten“, stieg mit seinen Sandalen auf die spitzen Eisenstangen und wollte auf der anderen Seite runterspringen. Dummerweise blieb eine Sandale auf der Zaunspitze hängen, und der Franz stürzte kopfüber auf die andere Seite. Ergebnis: schmerzhafter Schlüsselbeinbruch. Was er nicht mehr mitbekam war, dass die Ordner aus Angst, dass am Zaun Leute erdrückt werden könnten, ein paar Sekunden später die Tore öffneten. Somit drängten ca 30.000 Zuschauer ohne Eintrittskarte ins ausverkaufte Olympia-Stadion.
Das Spiel endete 1:1. Überragender Mann auf dem Platz war Helmut Haller.