Für Carlos Gruezo war es anfänglich keine einfache Saison in Augsburg. Ame Ende hatte er allerdings auch unter Markus Weinzierl seinen Platz gefunden in der Rotation mit Arne Maier im Mittelfeld. Dass es am Ende nur zu Einsätzen in der Hälfte der Spiele gereicht hat, ist mit Blick auf den versöhnlichen Saisonausklang und seine Verletzungen im Saisonverlauf zu verschmerzen. Und mit Blick darauf, dass er mit Ecuador zur WM in Katar fahren darf. Als Kapitän der Mannschaft seines Heimatlandes.
Carlos hat sich dankenswerterweise im Saisonendspurt die Zeit genommen, sich mit mir über seine Heimat zu unterhalten. Im gemeinsamen Gespräch habe ich verstanden, warum die Reisen zur Nationalmannschaft für manchen Spieler auch förderlich sein können und, dass es viel in Ecuador zu entdecken gibt. Aber lest selbst:
Andy: Servus Carlos und danke, dass du dir die Zeit nimmst. Es geht um deine Heimat, um Ecuador. Und ich muss vorausschicken, ich war noch nie in Südamerika. Ich bin zwar viel gereist, aber in Südamerika war ich noch nie. Vielleicht fangen wir fußballerisch an. Ecuador hat sich ja für die WM in Katar jetzt qualifiziert mit dir als Kapitän. In den letzten Turnieren lief es für uns Deutsche jetzt nicht besonders gut. Wir hatten vor ein paar Jahren einen großen Erfolg, aber in letzter Zeit war es eher frustrierend. Es kann also sein, dass sich der deutsche Fan oder auch der Augsburger ein zweites Team suchen muss, das er dann nach der Vorrunde unterstützt. Das könnte ja Ecuador sein. Was spricht für euch?
Carlos: Mannschaftliche Geschlossenheit. In der ganzen Quali war sehr wichtig, dass wir als Team zusammengefunden haben. Wir sind ein Team. Wir haben versucht, dass jeder seinen Beitrag leistet, als Mannschaft zusammen mit dem Trainerteam. Wir haben unsere Chance gewittert, uns zu qualifizieren. Und wir sind glücklich, weil wir als Mannschaft unser Ziel erreicht haben. Und ich glaube, wir waren eine Überraschung in der Quali.
Andy: Ja! Ich habe eine taktische Analyse gelesen. Es scheint so, dass eure Art Fußball zu spielen sogar ein bisschen so ist wie die des FC Augsburg. Weniger Ballbesitz, sehr aggressiv gegen den Ball und dann schnell vertikal.
Carlos: Ja, wir versuchen so zu spielen, weil es in Südamerika viele gute Mannschaften wie Brasilien und Argentinien gibt, die immer sehr viel Ballbesitz haben. Wenn wir zum Beispiel gegen Kolumbien spielen – Kolumbien ist immer sehr stark und hat viel Ballbesitz – dann versuchen wir kompakt zu stehen, den Ball zu erobern und dann schnell nach vorne einen Konter zu fahren. So haben wir, glaube ich, manchmal die Gegner überraschen können und viele Punkte eingefahren.
Andy: Also seid ihr in Südamerika so etwas wie der FC Augsburg der Bundesliga.
Carlos: Ja, fast. Es ist etwas pauschal, das so zu sagen, weil es natürlich in jedem Spiel eine andere Taktik gibt. Wenn wir zum Beispiel zu Hause in Ecuador spielen, dann haben wir mehr Ballbesitz, als wenn wir in Chile spielen. Aber wenn wir zu Hause spielen, dann versuchen wir den Ball mehr zu halten. In Quito liegt das Stadion sehr hoch. Die anderen Mannschaften kommen nach Quito und versuchen zu pressen und vorne drauf zu gehen. So funktioniert das aber nicht, weil du nach fünf Minuten am Ende bist. Deswegen versuchen wir es in Quito mit mehr Ballbesitz und mit mehr Ballkontakten und ein bisschen mehr Positionsspiel.
Andy: Ist es in Ecuador so, dass alle eure Heimspiele in Quito gespielt werden?
Carlos: Ja, normalerweise spielen wir immer in Quito. Aber in dieser Qualifikation haben wir zwei Mal in Guayaquil gespielt. Gegen Bolivien haben wir 3:0 gewonnen und das letzte Spiel gegen Argentinien haben wir auch in Guayaquil gespielt. Dort ist das Wetter fast genauso wie in Katar und wir haben ein bisschen versucht, uns an das Klima zu gewöhnen und probiert, wie sich das bei diesem Klima anfühlt. Wir haben auch gegen Argentinien versucht, viel Ballbesitz zu haben. Ich denke, dass wir ein gutes Spiel gezeigt haben. Argentinien ist für mich eine der besten Mannschaften der Welt. Sie haben viele gute Spieler und mit Messi den besten Spieler in ihrer Mannschaft.
Andy: Das ist ja auch eine der Besonderheiten in Ecuador. Es gibt viele unterschiedliche Landschaften: Wüste (Sierra), Küste (Costa) und die Anden und mit Ihnen die Höhe. Wo bist du am liebsten?
Carlos: Ja, die Landschaften sind wirklich sehr unterschiedlich. In Ibarra, Quito und Ambato bist du in der Höhe und in Esmeraldas oder Guayaquil bist du unten. Wir haben viel Meer und es ist ein tolles Land. Ich liebe Esmeraldas und die Costa und bin gerne am Strand.
Andy: Beachtime. Nicht in den Alpen auf die Berge kraxeln…
Carlos: Das ist mir ein bisschen zu kalt. Ich liebe den Sommer und die Sonne.
Andy: Davon hat es bei Dir zu Hause ja genug. Du bist bei Barcelona Guayaquil Profi geworden, bevor du nach Stuttgart gewechselt bist. Wie war das damals?
Carlos: Ich habe zwei Jahre bei Barcelona (Guayaquil) gespielt. Das ist eine große Mannschaft in Ecuador und es war eine gute Zeit für mich. Ich war damals 17 Jahre alt und zwei Jahre später bin ich schon nach Stuttgart gewechselt. Ich erinnere mich gerne an meine ersten Profijahre.
Andy: Kannst du dir vorstellen, in der Zukunft – jetzt bist du ja gerade im besten Fußballeralter – aber so in 10 Jahren wieder zurück zu kommen und dann nochmal ein paar Jahre in Ecuador die Karriere ausklingen zu lassen?
Carlos: Ja, das ist eine Möglichkeit. Wenn ich in 5 – 6 Jahren wieder nach Ecuador zurück komme, ergibt sich vielleicht die Chance, noch einmal für Barcelona zu spielen. Oder vielleicht für Nacional. So heißt meine Mannschaft in Ecuador.
Andy: Und von Stuttgart bist Du dann in die USA. Was hast du aus der USA mitgenommen?
Carlos: Als ich in Stuttgart war, war ich sehr jung. Ich bin sehr früh hierher gekommen. Das war für mich eine ganz andere Liga. Und auch ein ganz anderes Leben. Das erste Jahr war gut in Stuttgart, das zweite nicht so. Da war ich auch verletzt und habe nicht so viel gespielt. Das hat sich mit dem Wechsel nach Dallas geändert. Deshalb war die Zeit in den USA für mich sehr wichtig. Wir waren dort 3,5 Jahre und haben eine andere Kultur und eine andere Lebensweise ausprobiert. Und in den 3 Jahren haben wir zwei Mal den Titel gewonnen.
Andy: Und was läuft in der Kabine der Nationalmannschaft für Musik? Julio Jaramillo (ein berühmter ecuadorianischer Sänger) oder doch amerikanischer Rap?
Carlos: Keins von beiden. Wir hören viel Salsa. Wir singen in der Kabine oder im Hotel oder im Bus oder auch im Flugzeug. Wir kommen immer mit einer großen Boom Box. Wir spielen dann auch Karten und immer läuft Musik. Ich glaube, das ist gut für die Stimmung in der Mannschaft. Wir sind alle zusammen, verbringen Zeit miteinander und tauschen uns aus. Wir sind alle viel unterwegs, kommen dann zur Nationalmannschaft und haben ja dann nur diese Zeit, die wir miteinander verbringen und uns austauschen können über das, was bei uns, in unseren Clubs, Städten und Ländern so los ist. Es ist immer eine gute Zeit.
Andy: Dann gibt es natürlich auch Essen. Was isst man dann? Gibt es Bolon de verde (Grüne Bananenfleischbällchen)?
Carlos: Das ist sehr lecker. In Ecuador gibt es viel typisches Essen. Wenn du in Esmeraldas bist, gibt es Bolon de verde. Wenn du nach Quito oder in den Bergen bist, gibt es eher Suppe. Das Essen ist in den einzelnen Regionen sehr unterschiedlich. Und ich kann die Speisen nicht richtig gut übersetzen oder erklären.
Andy: Aber es ist alles scharf. Also ich hab von Aji hot sauce gelesen…
Carlos: Nein, es ist nicht alles scharf. Das ist in Mexiko. Bei uns isst man nicht so scharf.
Andy: Stell Dir vor, Du bist auf Länderspielreise und hast deine Familie getroffen. Ihr habt gemeinsam gegessen und hattet eine gute Zeit. Im Anschluss bleibt uns ein Tag, um drei Dinge in Ecuador anzuschauen. Welche wären das?
Carlos: Du musst zuerst die Sierra sehen. Dann musst du nach Guayaquil, weil es in der Nähe vom Meer ist. Und die ganze Ruta del sol (die Pazifikstrände zwischen Puerto López und Salinas) ist sehr schön. Das gibt es auch sehr gutes Essen. Und nach Galapagos solltest du auch. Das ist eine Insel und die ist sehr schön.
Andy: Dort gibt es die Schildkröten, oder? Ist das nicht sehr weit weg?
Carlos: Ja und das ist nicht so weit. Ich glaube, du brauchst so 2,5 Stunden mit dem Flugzeug direkt von Quito nach Galapagos. Wenn ich zur Nationalmannschaft fliege, brauche ich 16 Stunden nach Ecuador. Im Gegensatz dazu ist das ein Katzensprung.
Andy: Und dann kommst du zurück nach Augsburg und das ist dann kulturell schon ein kleiner Unterschied. Worauf freust du dich wieder, wenn du in Augsburg bist?
Carlos: Ich vermisse meine Freunde und meine Familie. Und auch das Essen, weil es ganz anders ist. Aber wir sind zufrieden. Ich bin mit meiner Frau und mit meinen Kindern nun seit fast drei Jahren hier und wir haben uns schon ein bisschen an die Kultur und das Essen gewöhnt. Das finde ich auch wichtig. Ich bin Fußballspieler und ich denke nicht so viel darüber nach, was anders ist als in Ecuador oder auch nicht. Mein Fokus liegt auf dem Spiel und darauf, eine gute Zeit zu haben.
Andy: Mit Blick auf die Atmosphäre im Stadion: Ist mein Bild richtig, dass es in Ecuador bei den Spielen schon noch ein bisschen verrückter zugeht als in Deutschland?
Carlos: Ja, das ist ganz anders. Das kann man gar nicht vergleichen. In Ecuador sind die Leute ein bisschen verrückt vor dem Spiel. Und hier haben die Leute mehr Respekt vor den Spielern und allen. Es ist eine ganz andere Kultur. Ich mag aber beides.
Andy: Ja, Unterschiede machen das Leben erst lebenswert. Danke für die Zeit, Carlos, und die Erklärungen zu Ecuador!
Carlos: Gerne, gerne, immer gerne. Danke auch für deine Zeit. Und hab einen schönen Tag!
Ein Gedanke zu „Ich liebe den Sommer und die Sonne“