Kaderanalyse Mittelfeld: Stabilität und Unsicherheit

An dieser Stelle der Kaderanalysen kann man feststellen, dass Jess Thorup in der Vorbereitung wohl seine Grundformation gefunden hat. Mit Jeff Gouweleeuw in der Innenverteidigung als Anker wird er weiterhin regelmäßig mit einer Viererkette in der Abwehr antreten. Davor hat sich in der ersten erfolgreichen Phase in der letzten Saison eine Raute etabliert.

Diese Raute kommt nicht ganz ohne Sorgen. Die Besetzung der 10er Position mit Ruben Vargas und dessen große Flexibilität haben etwas kaschiert, dass das gerade noch vorne schon recht steif und zentrumsorientiert daher kommen kann. Die Raute bringt das Problem mit sich, dass sie im Mittelfeld nicht mit der großen Breite glänzt. Dafür ist es essentiell, dass offensiv die Außenverteidiger mit nach vorne kommen, um diese Breite zu schaffen. Gegen den Ball wird es viel Aufwand für die vorderste Reihe und die 8er die Räume auf den Außen zu schließen und dabei die Zentrumsdominanz nicht zu verlieren.

Wie jedes taktische System kommt die Raute mit Vor- und Nachteilen daher. In meinem Kader-Check für das Mittelfeld werde ich davon ausgehen, dass der FCA in dieser Positionsgruppe vier Positionen zu besetzen hat: eine 6er, zwei 8er und eine Zehner-Position. Außenbahnspieler braucht dieses System eben nicht und dies werde ich am Kader nicht kritisieren. Ob die Entscheidung für dieses System die richtige ist, wird die Saison zeigen, wobei das Team eben letzte Saison seine beste Phase damit hatte.

Der 6er

Und das lag in der letzten Saison dann auch am Zugang von Kristijan Jakic im Winter. Jakic ist die perfekte Einzel-6. Er ist in der Lage, das ganze Spielfeld in der breite abzudecken und hat auch die notwendige Zweikampfhärte, um zwischenzeitlich auch körperlich Zeichen zu setzen. Schön wäre es gewesen, wenn Jakic das Trainingslager in Südafrika visabedingt nicht verpasst hätte. Aber vielleicht hat seiner geschundenen Achillessehne die etwas längere Pause nicht geschadet.

Nun glänzt Jakic bisher nicht mit großer Verfügbarkeit und fehlte direkt in seiner ersten Halbserie länger verletzungsbedingt. Damit passt er gut zu seinem derzeitigen Stellvertreter Niklas Dorsch. Niklas Dorsch hat in den letzten Jahren das Verletzungspech gepachtet und ist in der Hackordnung nun hinter Jakic, der auch die Vize-Kapitänsrolle von Dorsch übernommen hat, zurück gerutscht. Es kamen deshalb auch Wechselgerüchte auf, Einsatzmöglichkeiten sollte er aber dennoch genügend vorhanden sein.

Dies gilt auch für Nachwuchs-Ass Tim Breithaupt, der in seiner ersten Saison Jakic schon das ein oder andere Mal vertreten durfte, wenn Dorsch auch fehlte. Das hat er für einen jungen Neuling in der Bundesliga sehr vielversprechend gemacht und es wird hier spannend zu sehen sein, wie Breithaupt in diesem Team zu seinen Chancen kommt.

Die 8er

Die vielen Einsatzmöglichkeiten liegen eben im System begründet, das auf den zwei 8er Positionen weitere zentrale Mittelfeldspieler voersieht, die Box-2-Box flexibel sind und unterschiedliche Aufgaben übernehmen können. Und das hat Dorsch dann zum Ende der abgelaufenen Saison hin auch gemacht. Ich glaube, dass dies prinzipiell auch eine Rolle ist, die ihm vielleicht sogar noch mehr liegt als die Sechser.Position. Warum? Dorsch hat einen risikofreudigen Spielstil und Jakic in seinem Rücken als Absicherung erlaubt ihm weiter Risiken einzugehen. Dazu kommt sein feiner Fuß und seine Stärke bei Abschlüssen aus der Distanz. Dorsch auf der 8 ist damit etwas, auf das ich mich freue.

Ob er hier dann schon direkt erste Wahl ist, wird Jess Thorup entscheiden müssen. Er hat auf dieser Position wahrlich die Qual der Wahl und drei Spieler waren hier über die letzte Saison hinweg auf Augenhöhe. Hier wäre zuerst Elvis Rexhbecaj zu nennen, der schon viele Spiele in der Bundesliga vorzuweisen hat und der zentral extrem flexibel einsetzbar ist. Rexhbecaj hat seine Stärken im Spiel gegen den Ball und ist dort eine Wucht. Mit dem Ball wirken seine positiven Aktionen manchmal überraschend, aber er weiß es schon auch im 16er des Gegners aufzutauchen und torgefährlich zu werden.

In der ersten Elf würde ich aber gegen Viktoria Berlin ein anderes Duo in der Startelf vermuten. Es gibt eine Paarung, die wahrscheinlich die größte Offensivkompetenz mitbringt. Der erste Teil dieser Paarung ist Arne Maier. Maier hat jüngst in diesem Sommer seinen Vertrag in Augsburg verlängert und glaubt entsprechend an seine Aussichten. Maier ist in diesem System auf der 8 sehr gut aufgehoben. Er kann aus der Tiefe kommen und hat mehr Feld vor sich. Und mittlerweile sollte er defensiv stark genug sein, um die nötige Konstanz reinzubringen.

An der Seite von Maier könnte sich dann einer der Überraschungsspieler der letzten Saison wiederfinden. Dies ist Freddy Jensen, der diese Saison nun auch als Vize-Kapitän angeht. Jensen war in seinen Einsätzen unter Thorup im letzten Jahr – und bevor ihn eine Verletzung stoppte – super effektiv und wahrscheinlich von allen genannten Spielern mit am stärksten.

In der Vorbereitung immer wieder auf der 10 getestet: Arne Engels (Photo by Christian Kaspar-Bartke/Getty Images)

Die 10

Das war ja bis jetzt alles dicht besetzt und mit viel Auswahl für Trainer Jess Thorup versehen. Wo ist da der Haken? Der kommt jetzt. Jess Thorup hatte für die 10er Position in der letzten Saison die Top-Lösung gefunden, als er Ruben Vargas von außen nach innen zog. Ruben Vargas ist sogar noch da, will aber eigentlich weg und den nächsten Schritt machen. Der FCA müsste in diesen Sommer oder Winter verkaufen, um nach Transfererlöse zu erzielen, nachdem Vargas-Vertrag in 2025 ausläuft. Es geht also ein große Lücke auf.

Aber Jess Thorup wäre ja nicht Jess Thorup, wenn er hier keine Idee hätte. In den letzten Tests hat er auf der 10er Position Arne Engels eingesetzt. Engels kommt wie Vargas historisch vom Flügel hat beim FCA aber schon auf der 8er-Position gespielt. Für die 8 fehlt im aber in manchen Situationen die klare defensive Linie. Offensiv ist er vielleicht besser aufgehoben. Ob er hier die nötige Qualität für die Bundesliga hat: wir werden sehen. Ob er beim FCA bleibt, wo gerade Gerüchte von einem Interesse Celtic Glasgows kursieren, dazu.

Dahinter drängt Top-Talent Mert Kömür weiter nach vorne. Kömür durfte im Saisonendspurt in Leverkusen von Beginn an ran und konnte mit einem Tor glänzen. Es wäre natürlich ein Coup, wenn er sich den Startplatz sichert und den Durchbruch schafft. Mutig ist es allemal mit dieser Kaderbesetzung auf der Position in die Saison zu gehen, sollte Vargas wie vermutet den Verein verlassen. Aber Mut gehört halt auch mit dazu. Masaya Okugawa rechne ich indes keine Chancen aus und erwarte auch hier einen Abschied noch diesen Sommer, so sich ein Interessent findet.

Fazit

Einerseits ist das Mittelfeld damit der Mannschaftsteil, wo es bisher am Stabilsten zugeht. Andererseits birgt dieser Mannschaftsteil trotzdem einige Unsicherheiten. Funktioniert die Raute erneut und kann der FCA aus diesem System genügend defensive Stabilität schaffen und aber auch nach vorne unberechenbar genug bleiben?

Und so sehr ich dann von den personellen Optionen auf der 6er und den 8er Optionen überzeugt bin, so sehr bin ich gespannt, wie die 10er Position besetzt wird und mit welchem Erfolg. Man mag, wie im Falle von Jeff Gouweleeuw in der letzten Saison auf ein Umdenken von Vargas und Jurendic hoffen, so dass Vargas vielleicht doch noch längerfristig verlängert. Und ansonsten richtet es hoffentlich Engels. Noch ist die Qualität da. Ich hoffe, sie findet den Weg auf den Platz.

Autor: Andy

Wohnt und arbeitet in Frankfurt. Denkt dennoch seit vielen Jahren fast immer an den FCA.

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