Dieser Artikel ist ein weiterer Teil unserer kleinen Reihe „player to watch“. Darin rücken wir jeweils einen Spieler in den Fokus, weil er es sich im Laufe der Saison einfach verdient hat. Seid gespannt, wen wir euch als Nächstes präsentieren!
Am Freitagnachmittag hatte ich einen kleinen Schockmoment. Auf meinem Handy ploppte plötzlich die Nachricht auf: „Rückschlag vor Kellerduell: Augsburgs komplette Offensivreihe fällt aus“. Nervös öffnete ich sie. „Das kann ja jetzt wohl echt nicht wahr sein“, dachte ich. Hastig scrollte ich nach unten und musste dann lesen, dass nicht nur Michael Gregoritsch, unser aktueller Torgarant, positiv auf das Coronavirus getestet wurde und damit für das Match gegen Wolfsburg ausfällt, sondern auch (erneut) André Hahn. Damit brach für mich eine kleine Welt zusammen. Gerade im Abstiegskampf halte ich Hahn für einen Spieler, der nur schwer ersetzbar ist. Und zweitens könnte der „Hahno“-Countdown beim FC Augsburg schon begonnen haben. Das heißt: Womöglich bleiben erklärten Fans wie mir immer weniger Spieltage, um den 31-Jährigen noch im FCA-Dress zu erleben.
Höchste Zeit also, um André Hahn eine kleine Hommage zu widmen. Enthalten muss die natürlich, wie Hahn sich innerhalb kürzester Zeit vom Regionalligakicker in die Bundesliga aufgeschwungen hat und beim FCA plötzlich in einer Reihe mit Ernst Lehner, Ulrich Biesinger und Helmut Haller stand. Außerdem will ich auch überlegen, wie realistisch das Abgangs-Szenario im Sommer wirklich ist.
Landkind
André Hahn kommt 1990 in der Kleinstadt Otterndorf auf die Welt. Die niedersächsische Stadt hat weniger als 7.500 Einwohner und liegt an der Nordsee, nicht weit weg vom Wattenmeer. Hier, umgeben von Wiesen, Wasser und Dünen, wächst André zusammen mit seinem drei Jahre jüngeren Bruder Marcel auf dem Familienhof auf. Der Sport scheint bei Hahns in der Familie zu liegen. Oma Ute war einmal eine der erfolgreichsten Reiterinnen Norddeutschlands und auch Papa Andreas, der von Beruf Versicherungskaufmann ist, war beim TSV Otterndorf für die Handballmannschaft aktiv.
Andrés Leben scheint erst nicht viel anders zu verlaufen als das von anderen Kindern und Jugendlichen. In der Otterndorfer G-Jugend fängt er mit dem Kicken an. Sein erster Trainer, Werner Würger, erinnert sich an ihn als einen Spieler, der „in seinem Jahrgang sicherlich der Schnellste und Beste“ war, wohl aber auch ein bisschen eigensinnig. Das trieb Würger ihm aus. Bis heute habe Hahn sich den Teamgedanken zu Herzen genommen. Ich finde, das kann man bei ihm fast an jedem Spieltag beobachten.
Endstation Regionalliga?
Mit zunehmendem Alter schließt sich Teenie Hahn den Jugendmannschaften der nächstgrößeren Städte Cuxhaven und Bremerhaven an. Mit 17 schafft er es zum HSV, zu seinem Lieblingsverein. Erst in die A-Jugend, später auch in die Zweite Mannschaft. Nebenbei wird er Fahrzeuglackierer. Nach 38 Regionalliga-Partien für die Hamburger schließt sich Hahn 2010 dem Liga-Konkurrenten FC Oberneuland an. Doch er kündigt seinen Vertrag dort vorzeitig. Will stattdessen noch eine Ausbildung im Versicherungsbüro des Vaters anfangen, die Fußballschuhe an den Nagel hängen.
Zum Glück hat er’s nicht gemacht! Denn nach seiner Kündigung geht’s steil aufwärts für den damals 20-Jährigen. Seine „Defizite“ liegen vor allem im technischen Bereich, wie er selbst auch einmal zugab. Die spielen jetzt – wie etwa noch in Hamburg – aber plötzlich keine Rolle mehr. Was zählt, sind Tore, die er jetzt macht und damit die Aufmerksamkeit aus der dritten Liga auf sich zieht. Koblenz holt den Angreifer, der schon damals auf beiden Flügeln und auch im Sturmzentrum spielen kann, für den Rest der Saison zu sich. 2011 nehmen die Kickers Offenbach Hahn für eineinhalb Jahre auf. Während dieser Zeit lernt er auch seine spätere Frau Ragna kennen. In der Winterpause der Saison 2012/2013 klingelt bei André Hahn dann unverhofft das Telefon.
Reuters Riecher
Am Apparat ist Stefan Reuter, der den bulligen Flügelmann zum FC Augsburg in die erste Bundesliga lotsen will, bevor es etwa die Eintracht aus dem benachbarten Frankfurt tut. 250.000 € Ablöse bekommen die Offenbacher für Hahn. Der befindet sich mit 22 zum ersten Mal in der ersten Liga. Und gleich mitten im Abstiegskampf, für den er aber wie gemacht ist. Einsatz, Wille, Durchsetzungskraft. Das alles hat Hahn, der Fußball arbeitet und ackert. Außerdem läuft er seinen Flügel ab „wie ein Gestörter“, wie Mannschaftskollege Marvin Hitz mal festgestellt hat. Auch heute noch, mit seinen 31 Jahren, taucht Hahno mit knapp 12 km/Spiel immer ganz oben in der Laufleistungstabelle auf. Nicht umsonst heißt es in Augsburg ja auch: „Der Hahn muss laufen“.
Anfang 2014 traut André Hahn seinen Ohren nicht, als Hansi Flick ihn anruft und ihm sagt, er sei mit an Bord der Nationalmannschaft. Beim Testspiel gegen Chile im März 2014 steht er zunächst im Kader, beim 0:0 gegen Polen feiert er sein Debüt, als er nach der Halbzeit für den verletzten Leon Goretzka eingewechselt wird. Damit ist Hahn seit Helmut Haller, der von 1957 bis 1962 für den BC Augsburg spielte und zwischen 1958 und 1970 auf 33 Länderspieleinsätze kam, erst der vierte FCA-Spieler, der für die deutsche Nationalmannschaft nominiert worden wird. Vor Haller schafften das nur noch Ulrich Biesinger und Ernst Lehner. Hahn in einer Reihe mit Haller, Biesinger und Lehner. Hätte ihm das jemand vor einem Jahr erzählt, hätte er wahrscheinlich – wie beim Anruf von Flick – auch erst gedacht, er wird verarscht.
Hahns Höhenflug
Seit Hahns Bundesligadebüt für den FCA am 20.01.2013 gegen Fortuna Düsseldorf, das zugleich die Wende im eigentlich schon aussichtlosen Abstiegskampf einläutete, sind knapp eineinhalb Jahre vergangen. Gerade in der Saison 2013/14 bestreitet Hahn auf dem rechten Flügel fast alle Partien über die komplette Spielzeit und verhilft dem FCA auf Tabellenplatz 8. Spätestens seine Nominierung für die Nationalelf ruft endgültig die Konkurrenz auf den Plan. Vor dem Hintergrund seiner „American-Dream-Geschichte“ finde ich es absolut verständlich, dass der Niedersachse es damals nicht beim FCA belassen hat, sondern sehen wollte, wie weit sein Traum ihn trägt. Ein anderer Verein ist dazu vielleicht auch näher am Wohnort seiner Familie, mit der Hahn nach wie vor eng verbunden ist. Trotzdem war ich damals doch ziemlich geknickt, als er sich im Sommer 2014 letztlich nach Gladbach verabschiedet hat.
In den drei Jahren, die der Offensivmann für die Borussia spielt, erklimmt er eine weitere Stufe der Karriereleiter. Die Fohlen spielen 2015 und 2016 Champions bzw. Europa League. Und mit ihnen Hahn, der in seinen insgesamt 17 internationalen Einsätzen Teams wie Manchester City, Juventus Turin oder Barcelona gegenübersteht. Verstärkt wird Hahn am Niederrhein im Sturmzentrum eingesetzt. Trotzdem bleibt ihm aber oft nur die Jokerrolle, weil er es an Leuten wie Lars Stindl oder Thorgan Hazard nicht vorbeischafft. Da bringt sich erneut der HSV ins Spiel, der Hahn für rund 6 Mio. Euro als Köngistransfer zurück an die Elbe holt. Was die Nähe zu seiner norddeutschen Heimat angeht, natürlich ein Glücksfall für Familienmensch Hahn. Sportlich stellt sich die Station allerdings (erneut) als Flop heraus. Und so flüchtet sich Hahn nach dem erstmaligen Bundesliga-Abstieg des HSV im Sommer 2018 zurück zum FC Augsburg.
Zweite Heimat
Im Mai 2018 unterschrieb Hahn beim FCA also einen Vier-Jahres-Vertrag bis zum 30. Juni 2022. In der Pressemitteilung zu seiner (Wieder-)Vorstellung wird er folgendermaßen zitiert:
„Ich freue mich, wieder zurück in Augsburg zu sein, weil ich mich hier sehr wohl gefühlt und dem Verein viel zu verdanken habe. Der FCA schenkt mir erneut das Vertrauen und das möchte ich dem Verein, allen Verantwortlichen und den Fans zurückgeben.“
André Hahn in der FCA-Pressemitteilung vom 30.05.2018
Um sich in und um Augsburg diesmal noch wohler zu fühlen, hat sich Familie Hahn seit Herbst 2018 in einem Haus im Unterallgäu niedergelassen. Zaisertshofen heißt das 1000-Einwohner-Dorf, das 40 Autominuten vom FCA-Trainingsgelände weg und – wie einst Otterndorf – ebenfalls mitten in der Natur liegt. (Dass es im Allgäu richtig hübsch ist, kann ich aus eigener Erfahrung nur bestätigen.) Mittlerweile haben die Hahns zwei Söhne.
Anders als in seiner ersten Phase leitete beim FCA nun Manuel Baum die Trainergeschicke, der auf dem rechten Flügel nach wie vor auf den inzwischen 28-Jährigen baute. Unter Martin Schmidt hatte er es schwerer. Hahn wurde zugunsten von Marco Richter oder Ruben Vargas öfter ganz aus dem Kader gestrichen. Während Heiko Herrlich den 1,85 Meter-Mann am liebsten im Sturm auflaufen ließ, wird er von Markus Weinzierl heute flexibler eingesetzt als noch während Hahns erster Phase unter dem heutigen Chef-Coach. Zum Beispiel bildete Hahn seit dem 2:1-Sieg gegen die Bayern, zu dem er auch einen Kopfballtreffer beisteuerte, bis zum Ende der Hinrunde zusammen mit Andi Zeqiri eine Doppelspitze. (Was aber auch der Verletzung von Flo Niederlechner geschuldet war.) In Summe hat Hahn für den FCA 156 Spiele bestritten und dabei 33 Tore und 28 Vorlagen erzielt.
Should I stay or should I go?
Ob Hahn an die fast fünfeinhalb Jahre FCA ab Juni 2022 noch ein Weilchen dranhängt, ist bisher noch nicht klar. Wie die AZ kürzlich berichtet hat, liegen ihr Informationen vor, nach denen sich der Vertrag von André Hahn über eine Klausel zu gleichen Konditionen um ein Jahr verlängern könnte. Voraussetzung dafür wäre eine gewisse Zahl von Startelfeinsätzen. Hier steht der 31-Jährige aktuell bei 21, wobei er für diese „automatische“ Verlängerung angeblich zwischen 25 und 30 erreichen müsste. Dem Verein steht es natürlich aber auch offen, unabhängig vom Greifen der Klausel mit Hahn über einen Verbleib zu verhandeln.
Als bekennender Hahno-Fan befürworte ich das natürlich sofort! Es gibt aber auch eine Reihe ganz rationaler Argumente, die dafür sprechen. Zunächst ist da diese körperliche Präsenz von Hahn, die jetzt schon häufiger angesprochen wurde. Der Kicker drückt das so aus: „Der robuste Angreifer lebt seit jeher die Basics des Profifußballs: extreme Mentalität und Tempo schlagen Feinmotorik und launisches Talentedasein.“ Dabei heraus kommen dann entweder Gegner, die sich die Zähne an Hahn ausbeißen, atemberaubende Gewaltschüsse wie das 2:0 gegen Union Berlin oder auch kleine Showeinlagen wie der missglückte, aber unglaublich unterhaltsame Rabona-Trick gegen seinen Ex-Club Gladbach.
Wie sagte schon sein Vater so schön:
„André ist auf dem Land groß geworden. Er hat von klein auf mitbekommen, dass man sein Geld mit Arbeit verdient. Und er hat sich im Fußball alles erarbeitet. Er ist ja nicht der ganz große Techniker“.
Vater Andreas Hahn über seinen Sohn in der AZ vom 28.02.2014
Die fehlende technische Finesse könnte man Hahn natürlich auch als Nachteil auslegen. In der Spielweise des FCA mit seinem hohen Pressing und den schnellen Umschaltmomenten und Abschlüssen fällt das aber kaum ins Gewicht. Nach dem Ausfall von Noah Sarenren Bazee, der zuletzt auf dem rechten Flügel zu seinem ersten Startelfeinsatz in dieser Saison kam, könnte Hahn auf dieser Position sogar noch wichtiger werden. Auch weil Lasse Günther vom Trainerteam eher links gesehen wird und es auch keinen Unterschied macht, ob Reuter mit seiner Offerte in Richtung Linton Maina von Hannover 96, der womöglich als Ersatz für Bazee geplant ist, Erfolg hat oder nicht.
Fazit
Mir sitzt definitiv die Hahn-Brille auf der Nase und ich würde mich unglaublich freuen, Hahno noch eine weitere Saison beim FCA sehen zu können. Sofern er und seine Familie es sich ebenfalls vorstellen können, noch länger in ihrer „zweiten Heimat“ in Schwaben zu bleiben.
Mich faszinieren seine Geschichte und seine Person. Das HSV-Magazin hat dazu mal geschrieben: „Der Weg von André Hahn ist besonders. Deshalb ist André Hahn so normal.“ Genau das ist es, warum ich ihn so schätze. Seine Bodenständigkeit, seinen Fleiß, seinen Kampfgeist. Seine Ruhe und Zurückhaltung, obwohl er gleichzeitig richtig beißen, sich für sein Team aufopfern kann.
Auch wenn es erwiesenermaßen nicht zu empfehlen ist, dass Sportlerinnen und Sportler nach einer Coronainfektion zu schnell wieder in den Trainings- und Spielbetrieb einsteigen, habe ich mich am Sonntag insgeheim doch diebisch gefreut, dass Hahno beim überraschenden 3:0 gegen Wolfsburg die letzten zehn Minuten doch noch aktiv am Spiel teilnehmen durfte. Spätestens zu dem Zeitpunkt hatte ich meinen kleinen Schock von Freitag dann auch komplett überwunden.