Das erste große Turnier

Ich weiß nicht mehr genau, wo ich im Sommer 1990 war und das Finale der WM gesehen habe. In meiner Erinnerung sehe ich mich vor dem Fernseher meiner Großeltern. Zusammen haben wir gefiebert. Es sind mit meine ersten Erinnerungen an Fußball. Das gemeinsame Erlebnis mit der Familie. Dieses Fiebern mit der eigenen Mannschaft. Der Triumph.

Und auch wenn mich die Nationalmannschaft mit ihren Marketingkampagnen nervt, und der Fußball nicht ansehnlich war, so habe ich die EM in diesem Sommer verfolgt. Auch zusammen mit meiner großen Tochter. Sie ist sieben Jahre alt. Und vielleicht ist diese EM2020, die in 2021 stattfand, das erste große Turnier, an das sie sich erinnert. Und ich würde ihr gerne das gleiche romantische Erlebnis mit auf den Weg geben.

Aus und vorbei. Schneller als gedacht, reichte es sportlich für das deutsche Team nicht mehr und die Enttäuschung war groß. (Foto via Imago)

Und so war der Abend des Portugal-Spiels eine große Freude. Der Abend des Ungarn-Spiels eine große Verwirrung. Der Abend des England-Spiels ein großes Tal der Tränen. Eine bittere Enttäuschung. An diesem Abend habe ich hier dann erzählt, um sie aufzumuntern, dass man ja auch mit anderen Mannschaften als der eigenen Nationalmannschaft mitfiebern kann. Und so kam es, dass ich sie darauf aufmerksam machte, dass ihr Lieblingsspieler noch im Turnier war.

Lieblingsspieler sind ja wie der Lieblingsclub: Man kann sie sich nicht selbst aus freien Stücken aussuchen. Ich kann euch deshalb nicht genau erklären, warum meine Tochter gerade Ruben Vargas toll findet. Naja, die auffälligen Offensivaktionen (die ich natürlich brav herausstelle, wenn Ruben mal wieder am Ball ist) und die Großaufnahmen nach Toren werden beim gemeinsamen Konsum von FCA Spielen ihren Teil beigetragen haben. Rubens sympathische Art und sein freundliches Erscheinungsbild werden den Rest erledigt haben.

Und so habe ich ihr erklärt, dass Ruben Schweizer ist und die Schweiz noch im Turnier war. Und wir haben stolz mit Ruben mitgefiebert. Beim ersten Elfmeterschießen. Nach seiner frühen Einwechslung. Und auch beim zweiten Elfmeterschießen. Kein FCA-Spieler ist bei der EM dem Titel näher gekommen als Ruben Vargas. Kein FCA-Spieler hat mehr Spielminuten gesammelt. Nur Gregerl hatte mehr Spaß. Ruben hat mit 22 Jahren ein famoses erstes großes Turnier gespielt. Er war ein wichtiger Bestandteil einer sehr guten Schweizer Nationalmannschaft. Und vielleicht ist es er und seine Leistungen, die meine Tochter als erste Erinnerung an ihr erstes großes Turnier mit sich tragen wird.

Ruben Vargas bei der EM2020 ist eine Familienerinnerung geworden (Foto: Andrea Staccioli / Insidefoto via Imago)

Klar, auch der Weg der Schweiz endete in einer Enttäuschung. Gerade dann, wenn man so weit kommt und dem Weiterkommen so nahe ist, ist es schwer, sich mit dem Ausscheiden abzufinden. Im Elfmeterschießen, der Lotterie des Fußballs. Das Gute ist: es wird schon bald eine neue Chance geben. Das nächste große Turnier kommt bestimmt und Ruben Vargas wird vielleicht erneut eine Chance bekommen daran teilzunehmen. Gestärkt durch die Erfahrungen dieser EM. Erfahrener und abgezockter. Meine Tochter wird Fußball und die Turniere vielleicht dann noch bewusster wahrnehmen. Ruben hat seinen Teil dazu beigetragen, dass sie den Zirkus auf einer menschlichen Ebene aufnimmt und vom sportlichen Wettkampf fasziniert ist.

Aber bis dahin geht es wieder um den Ernst des Lebens: die Bundesliga. Meine Tochter freut sich auf die kommende Saison mit dem FCA. Wir waren bisher einmal gemeinsam im Stadion und sie hätte schon mal wieder Lust. Auch um Ruben Vargas spielen zu sehen. Seit kurzem verweilt Ruben Vargas wieder beim FCA, bei seiner Mannschaft. Und hat angekündigt, dass er noch mindestens ein Jahr bleiben will. Und seinen Vertrag erstmal bis 2025 verlängert. Das freut mich. Es herrscht ein bisschen Aufbruchsstimmung in der Stadt. Mit Sicherheit nicht wegen der EM. Endlich mal wieder wegen dem FCA. Und weil Spieler wie Ruben weiter Bock haben für den Club zu kicken. Und ganz Augsburg weiß, was Markus Weinzierl mit einem guten linken Flügelspieler alles anstellen kann.

Die großen Turniere sind der Kaviar der Fußballfans. Wenn er da ist, frisst man so viel, wie man kann. Aber am Ende aller Tage ziehe ich die Bundesliga und eine solide Bratwurst vor. Es wäre doch gelacht, wenn Ruben Vargas in der kommenden Saison nicht einen deutlichen Anteil daran hätte, dass meine Tochter noch frenetischer dem FCA zujubeln kann als jemals zuvor. Es würde uns wohl alle gemeinsam freuen. Ruben, ich glaube an Dich! Und jetzt lass uns mit dem FCA gemeinsam Spaß haben.

Neues aus Europa

Es ist das erste und wahrscheinlich auch für lange Zeit einzige Mal, dass man mit dieser Überschrift zu einem großen Turnier einen Text beginnen kann. Trotz Corona hat die UEFA nicht darauf verzichtet, die Euro 2020 (was ein Wahnsinn, noch nicht einmal die Jahreszahl anzupassen) in vielen Städten über den Kontinent verteilt spielen zu lassen. Es ist Sommerpause, ich habe einen Hang die Nationalmannschaft besser zu finden, als ich sollte (eine typische Fußballfanangewohnheit) und schaue doch ab und an mir Spiele des Turniers an. Dabei kamen mir ein paar Gedanken, die ich gerne festhalten will.

Beste Wünsche für die eigenen Spieler

Drei Spieler, die für nächste Saison vertraglich momentan beim FCA gebunden sind, spielen bei diesem Turnier mit. Die größte Rolle für seine Mannschaft hat dabei wahrscheinlich Michael Gregoritsch. Nach Einwechslung und Treffer in Spiel 1 durfte er in Spiel 2 von Beginn an ran, bevor er in Spiel 3 von außen verfolgte, wie die österreichische Mannschaft ins Achtelfinale des Turniers einzog. Wie wäre es mit einem entscheidendem Treffer in einem K.O.-Spiel? Freddy Jensen und Ruben Vargas wurden beide in Spiel 2 eingewechselt, nachdem es in der ersten Partie nicht zum Debüt gelangt hatte. Ich bin dabei immer hin und her gerissen. Einerseits würde ich die Jungs am liebsten in Watte packen, damit sie sich bei der Nationalmannschaft nicht verletzen. Andererseits wünsche ich Ihnen nur die besten Erfolgsmomente und Erfahrungen.

Gregerl freut sich über seinen Treffer (auch wenn er gezwungen wurde ein Trikot zu tragen, dass überhaupt nicht zu Hose und Stutzen passt)(Foto: GEPA pictures/ Christian Walgram via Imago)

Gregerl ist zudem eine der spannendsten Personalien in diesem Sommer. Gregerls letzte Saison war eine große Enttäuschung. Herrlich und Gregerl passte nicht so richtig. Gregerl in Topform und mit Selbstvertrauen wäre ein Gewinn fürs Team. Einen ordentlichen Transfererlös würde er jetzt im Sommer wohl nicht einbringen. Evtl. würde er trotzdem gerne eine neue Perspektive bei einem anderen Club suchen. Markus Weinzierl kann auch mit Spielern, um die man sich aktiv kümmern mudd. Caiuby und Raul Bobadilla spielten teilweise übermenschlich. Wenn Weinzierl Gregerl mal nicht auf die rechte Spur zurückführen könnte?

Die Gesamtgemengelage

Dieses große Turnier fühlt sich trotz allem komisch an. Das liegt nun nicht nur an der Zuschauerbegrenzung in vielen Stadien. Das liegt auch daran, dass es keine öffentlichen Events und Public Viewing gibt. Martin Hinteregger hat das vor Turnierbeginn so ausgedrückt:

„Dass das ein großes Turnier ist, ist schwer vorstellbar, aber vielleicht kommt mit dem Anpfiff das Feeling, wenn zumindest ein paar Zuschauer im Stadion sind“

Martin Hinteregger

Auch bei mir lief das ähnlich. Als dann erstmal der Fernseher lief, war die EM-Stimmung dann schon etwas gefunden. Naja, zumindest dann wenn das Spiel denn regulär übertragen wurde. Ein Teil der Spiele ist ja bei Magenta TV gelandet. Und die Server hielten natürlich nicht. Es sollte irgendwo möglich sein, einen EM-Pass zu kaufen und alle Spiele sehen zu können. Mit diesen vielen Quellen verliert doch jeder den Überblick und der Spaß geht verloren. Mit diesen vielen Übertragungspartnern macht sich die UEFA das Produkt langfristig kaputt. Unverständlich, wo man doch eigentlich nur aufs Geld schaut.

Spieler als Helden

Wie mit den Spielern indes umgegangen wird, ist weiterhin überaus kritikwürdig. Während Christian Eriksen Herz still stand, hielten die Kameras der Zentralregie voll drauf und es waren die dänischen Spieler, die eine Sichtbarriere um ihren Mannschaftskameraden bildeten. Es waren auch die Mannschaftskameraden, die am schnellsten zur Stelle waren und Eriksen das Leben retteten.

Simon Kjaer, Thomas Delaney, Andreas Christensen und Jonas Wind bangen um das Leben ihres Teamkameraden Christian Eriksen und schaffen selbst Privatsphäre für diesen. Kurz danach musste es weitergehen, denn verbindliche Regelungen für solche Fälle gibt es weiterhin nicht (Foto: Ritzau/Scanpix Liselotte Sabroex via Imago)

Die UEFA hatte schon kurz darauf ein Ultimatum für diese Spieler: entweder spielt ihr heute zu Ende oder morgen um 12 Uhr mittags. Ernst jetzt? Aber ja. Und obwohl medizinische Zwischenfälle immer mal wieder vorkommen im Rahmen von Wettbewerbspartien gibt es keine Regelung wie dann verfahren wird. Kein „ab dieser Schwere brechen wir ab und nachgeholt wird nach mindestens X Tag (en) Pause und dem Angebot psychologischer Betreuung“. Derweil zum Beispiel mögliche Werbeaktivitäten von Spielern genau geregelt sind, gibt es für den Fall eines medizinischen Notfalls kein Protokoll (genau wie Spieler nach Kopfverletzungen weiterhin keinem Protokoll unterliegen und geschützt werden).

Spieler finden ihre Vorbildrolle

Spannend ist sehr wohl zu beobachten, wie manch Spieler seine Vorbildrolle findet. Christiano Ronaldo, der Colaflaschen zur Seite stellt und sagt: „Trinkt Wasser“ (und wer Ronaldo sagt, sollte ich bitte auch die Folge 004 FRÜF zu den Vergewaltigungsvorwürfen gegen ihn anhören). Paul Pogba, der die Flasche Heineken entfernt. Auch hierfür wird es jetzt schleunigst eine Regelung geben, die den Spielern das verbietet. Manchmal ist man eben schnell im Regeln. Die UEFA sieht die Spieler noch lange nicht als Partner auf Augenhöhe. Obwohl es weiterhin die Spieler sind, die ihre Knochen hinhalten und die Arbeit auf dem Platz machen. Ohne Spieler keine Spiele. Man fragt sich, wie lange, sie das überhaupt noch mitmachen, dass ein Verband sich auf ihre Kosten die Taschen vollmacht und das Geld irgendwo in der Intransparenz versickert. Dass es noch keine Spielerberater gibt, die Spieler dagegen aufgebracht haben.

Und so kommt es nun, dass ich zwar die UEFA und ihre Haltung in vielen Dingen für schwierig halte, die fortschreitende Kommerzialisierung kritisiere und dennoch mit diesen Spielern fiebere. Mit den Kimmichs und Goretzkas, die es da gibt und die positiv vorangehen in dieser Welt. Mal schauen, wie lange ich das durchhalte und wie sich meine Laune entwickelt. Zumindest momentan bin ich zuversichtlich, dass ich am Mittwoch wieder mit Spannung dabei bin, wenn es gegen die Ungarn geht. Auch, weil man sich bei manchen Spielen etwas mehr wünscht, dass man gewinnt. Und, dass die Arena in München in Regenbogenfarben leuchtet.

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