Verbaut

Letzte Woche ging das Kapitel des Trainers Enno Maaßen beim FC Augsburg zu Ende. Grundsätzlich ist das schade. Enno war seit langem wieder ein Trainer, mit dem ich große Hoffnungen für eine sportlich bessere Phase verband. Bei Heiko Herrlich hatte ich diese Hoffnung von Anfang an nicht. Sie wurden dann auch schon vor dem ersten Spiel durch seine slapstickartigen Aussagen unmöglich gemacht. Die erneute Verpflichtung von Markus Weinzierl war eine Verzweiflungstat und endete auch so. Enno war eine gelungene Abwechslung.

Und so litt man zuletzt auch mit Enno mit. Ich spürte regelrecht wie belastend die Situation für ihn geworden war. Andauernd und immer wieder individuelle Fehler von Leistungsträgern. Andauernd und immer wieder verkorkste erste Halbzeiten. Als Fan hat man die Hände über den Kopf geworfen. Manche haben nach dem Spiel gegen Darmstadt ihrem Unmut laut Luft gemacht. Es konnte mit Enno Maaßen nicht weitergehen. Schade. Aber bevor wir mit einem neuen Trainer durchstarten, müssen wir nun einmal betrachten, wie es trotz aller Fußballkompetenz bei Enno so weit kommen konnte.

Holpriger Start

Ennos Start beim FCA bestätigte die in ihn gesetzten Hoffnungen nicht. Spiele (bis auf gegen Leverkusen) endeten ohne Sieg und schon in der letzten Saison stand die Mannschaft mit Trainer schnell unter Druck. Doch dann konnte die Wende eingeleitet werden. In Bremen gelang dies, nachdem Enno gezeigt hatte, dass er pragmatisch reagieren, seinen Ansatz anpassen und sich auf die Möglichkeiten seiner Spieler einstellen konnte. Hätte Rafal Gikiewicz am Ende den Elfmeter nicht gehalten wäre die Kehrtwende in Bremen aber auch nicht geglückt. Im Gegensatz zu seiner ersten Saison ging ihm im zweiten Jahr auch dieses Spielglück ab. Manchmal liegt es auch an den kleinen Dingen.

Anpassungsfähigkeit

Anpassungs- und Lernfähigkeit sind zwei Tugenden, die man Enno Maaßen nicht abschreiben kann. Bei allen Veränderungen und Wechseln war aber am Ende nicht mehr klar, welche Art von Fußball er denn spielen lassen will. Sowohl gegen Bochum als auch Darmstadt zu Hause, war weder von Ballbesitzfußball noch von Intensität viel übrig. Der FCA hat unter Enno Maaßen genau das Gegenteil von dem erreicht, was er wollte: er hat seine fußballerische Identität eher verloren als gewonnen. Zumindest konnte die Mannschaft am Ende nicht mehr umsetzen, was Enno Maaßen von ihr wollte.

Über einen längeren Zeitraum ist es in dieser Hinsicht wohl wichtig klar zu definieren, was man eigentlich will. Und daran in schwierigen Phasen auch festzuhalten. Der Pragmatismus gegen Bochum und auch Freiburg hat Enno Maaßen nicht geholfen. Zwei mutige, beherzte Auftritte, in denen die Kerntugenden des FCA sichtbar gewesen wären, vielleicht schon eher. Ja, Fußball ist ein Ergebnissport. Am Ende darf man darüber aber nicht vergessen, was man eigentlich will.

Das fehlende Gerüst

Die Probleme lagen dann auch am Wandel im Kader. Die Elf, die noch gegen Bremen in der Lage war eine Wende einzuleiten, existiert in dieser Form nicht mehr. Florian Niederlechner verließ den Club im Winter und dümpelt mit Hertha in der zweiten Liga herum. André Hahn verletzte sich später im Saisonverlauf schwer und sein Vertrag wurde infolgedessen in Augsburg nicht mehr verlängert. Rafal Gikiewicz durfte im Sommer den Verein verlassen, nachdem er verletzungsbedingt die für eine Verlängerung seines Vertrags notwendige Anzahl von Spielen nicht erreichte. Carlos Gruezo, Kapitän seiner Nationalmannschaft, ging recht leise auch im Winter. Und mit Jeffrey Gouweleeuw hat man dem langjährigen Kapitän des FCA im Sommer mitgeteilt, dass man in 2024 nicht mit ihm verlängern wird. Jeff gab in Folge dessen das Kapitänsamt zurück.

Ermedin Demirovic ist neu in seiner Rolle als Kapitän. (Photo by Jurij Kodrun/Getty Images)

Im Winter sah man keine Notwendigkeit erfahrene Spieler dazu zu holen. Im Sommer ging mit Daniel Caligiuiri ein weiteres Spieler mit langjähriger Bundesligaerfahrung. Mit Sven Michel holte der FCA auch einen älteren Spieler dazu, der aber nicht über langjährige Erfahrung in der Bundesliga verfügt. Über zwei Transferperioden hinweg hat der FCA sein Gerüst an erfahrenen Bundesligaspielern aufgelöst, ohne dass schon erfolgreich ein Neues installiert worden wäre. Eine schwierige Aufgabe für jeden Trainer.

Perspektive

Und vielleicht ist es genau dieser Punkt, an dem man merkte, dass Enno Maaßen seine erste Station in der Bundesliga absolvierte und mit Charakteren umgehen musste, die prominent und exponiert sind. Es gibt eben wohl einen Unterschied zwischen der U23 des BVB und einem Bundesligaverein. Daniel Caliguiri hat sich im Nachgang zu seinem Abschied öffentlich beschwert, dass er keine faire Chance bekam, Jeffrey Gouweleeuw drohte – noch während Maaßen da war – seine Seite der Geschichte zu erzählen und stellte den Jugendkurs öffentlich in Frage.

Maaßen erwähnte immer wieder, dass auf Grund des Umbaus der Mannschaft Zeit notwendig sei. Er vergaß dabei die andere Seite der Medaille: warum der Umbruch so groß geworden ist und von den erfahrenen Jungs am Ende kaum einer übrig blieb. Der Erfolg hat ihm an dieser Stelle nicht recht gegeben. Maaßen hätte im Teamaufbau zu einem anderen Mix finden müssen, um eine stabile Mannschaft zu formen.

Ausblick

Und so ist nur zu hoffen, dass im Anforderungsprofil an den neuen Trainer der Punkt „Teambuilding“ ein wichtiges Element war. Aus den Spielern, die jetzt beim FCA sind, muss schnell eine funktionierende Mannschaft werden. Die Spieler müssen das Vertrauen ihres Trainers spüren und sollten dazu aufgerufen werden, ihre Erfahrungen einzubringen. Der FCA braucht wieder starke Spieler, die nicht nur darüber reden, Verantwortung zu übernehmen sondern es auch aktiv tun. Bei Jess Thorup kann man zumindest guter Hoffnung sein.

Fußballerisch wird der Trainer eine Mannschaft vorfinden, die doch einiges kann. Es wird aber notwendig sein, dass diese Mannschaft die Überzeugung und das Selbstvertrauen wiederfindet, dies auch zu zeigen. Es ist eine machbare Aufgabe (anders herum wäre es schwieriger). Hoffen wir alle darauf, dass uns Jess Thorup aus dieser sportlich verkeilten Situation befreit und man die Befreiung auf dem Platz erkennen kann.

Zurück in der Spur


Dieser Text erschien zuerst in der Kolumne „Einwurf aus der Rosenau Gazette“ bei presse-augsburg.de.

Sonntagmorgen nach dem Spiel gegen Union Berlin. Wie viele von uns bin ich morgens mit einem fetten Grinsen aufgewacht. Ich habe mir vorgestellt, wie Enno Maaßen aufgewacht ist und auch erstmal kurz ein kleines Tänzchen vollführt hat. Bei anderen hat vielleicht der ein oder andere Kater-Kopfschmerz das morgendliche Hoch etwas getrübt. Wir alle wussten dennoch, warum wir am Samstagabend gefeiert haben. Doch es war nicht nur der Sieg gegen Union Berlin, der den Glauben an dieses Team bestärkt.

An 1:0 Siege zu Hause in der Arena wird man sich nie ganz gewöhnen. Es ist ein Gefühl, von dem man nicht genug bekommen kann, gerade wenn – wie in den letzten 10 Minuten gegen Union Berlin – das Stadion voll Gespanntheit fast überschwappt, jeder nur noch singt und klatscht um nicht umzukippen, und sich die ganze Spannung am Ende mit dem Schlusspfiff entlädt.

Mit dem Druck umgehen

Nicht oft genug war es der Fall, dass der FC Augsburg Führungen verteidigen konnte. Über 20 Punkte hat man auf dem Weg zum 31. Spieltag in dieser Bundesligasaison liegen lassen. Teilweise auf die bitterste und herzbrecherischste Art und Weise. Ich muss die Partien an dieser Stelle nicht benennen. Jeder erinnert sich an die traumatischen Situationen sowieso sofort. Umso schöner war es, dass das Team gezeigt hat, dass es mit der Situation umgehen kann.

Nun hatten sich in den letzten Wochen die Punktverluste gehäuft. Der FCA war vor der Partie gegen Union Berlin seit sieben Spielen sieglos, auch wenn er in manchen Partien gute Chancen gehabt hätte, zu gewinnen. Auf diesem Wege war man nun gegen Ende der Bundesligasaison wieder unten rein gerutscht. Die Abstände waren zu gering geworden, um als Fan noch ruhig schlafen zu können. Eine Spannung war entstanden, auf die niemand rund um den FCA in dieser Saison Bock hatte. Es ist schön zu sehen, dass der FCA als Spezialist im Abstiegskampf in diese Rolle zurück gefunden hat.

Katze Koubek und Mimi Pedersen feiern ausgelassen. Das Ergebnis gegen Union Berlin war wegweisend. (Photo by CHRISTOF STACHE/AFP via Getty Images)

Interne Problemlösung

Dies ist umso erstaunlicher, als dass Enno Maaßen als Trainer in seiner ersten Saison in der Bundesliga sich zum ersten Mal in dieser Situation wiederfindet. Dazu kommt, dass der Kader einem kräftigen Umbau unterworfen war und viele junge Spieler regelmäßig in der ersten Elf stehen. Arne Engels wirkt weiterhin so routiniert wie eh und je. Dion Beljo traf erneut. Die Jugend forscht nicht nur. Die Jugend regelt. Und dass unter schwierigen Bedingungen.

Dabei ist in den letzten Wochen sicher nicht alles glatt gelaufen. Es gab Themen, die man kritisieren konnte. Die Verantwortlichen haben alle Debatten intern gehalten. Präsident Max Krapf hat sich, im Gegensatz zu seinem Vorgänger in vielen der vergangenen Saisons, vornehm zurück gehalten, genau wie auch Stefan Reuter. Der FCA hat in dieser schwierigen Situation nach außen die Ruhe bewahrt und ist zusammengestanden.

Zurück auf dem Augsburger Weg

Diese besonnene Art der Arbeit war in den ersten Bundesligajahren immer das Augsburger Markenzeichen. Sowohl im ersten Bundesligajahr als auch in der ersten Phase unter Markus Weinzierl hat den Club ausgezeichnet, dass man sportlich nicht an der Ausrichtung gerüttelt hat. In den vergangenen Jahren hat man immer mal wieder kurz vor dem Saisonende ein Zeichen setzen wollen. Diesmal hat man noch nicht mal laut darüber nachgedacht.

Zwei Kern-Personalien sind hier zu beachten. Einerseits hat Enno Maaßen das Herz der Augsburger erobert. Er ist ein Trainer, mit dessen Art man sich identifiziert und dem man sportlich noch mehr zutraut, auch wenn er bisher nicht alles richtig macht (und wer macht das schon). Andererseits hat der Wechsel von Hofmann zu Krapf im Präsidentenamt zu Ruhe geführt. Er ist näher dran am Geschehen, bildet sich eine eigene Meinung und verteidigt den Club mit allem was er hat. Auf öffentliche Auftritte kann er im Zweifel dafür verzichten. Ein Zeichen der Stärke. In der derzeitigen Konstellation funktioniert das gut und gibt Sicherheit.

Man mag direkt mit Mads und Felix mitlaufen. Es ist lange her, dass ich so viel Hoffnung hatte, obwohl es sportlich immer noch eng ist. (Photo by Alexander Hassenstein/Getty Images)

Ergebnisse

Das alles ist im Fußball nicht viel wert, wenn die Ergebnisse ausbleiben. Als ich am Sonntagnachmittag mit meinen beiden Töchtern in der Eisdiele sitze, geht mir auf, mit was sich dieser Sieg am besten vergleichen lässt: mit der Geschmacksexplosion einer Amarena-Kirsche. Kurz bevor man auf die Kirsche beißt, weiß man nicht, ob sie auch dieses mal genauso geschmacksintensiv im Mund explodieren wird. Nach kleinen Zweifeln in den letzten Wochen den Glauben ins eigene Team und in den Club zurückzugewinnen, weil man von draußen ja nicht rein schauen kann, ist genau eine solche großartige Erfahrung.

Nach sieben sieglosen Spielen ist der FCA nicht etwa unter dem Druck im Abstiegskampf zusammengebrochen, sondern hat mit dem Sieg gegen Union klar gemacht, dass er Top-Teams in der Liga schlagen kann. Er hat in schwierigen Zeiten zusammengehalten und tut das weiterhin. Und bei dem Potential im sportlichen Bereich freut man sich auf mehr.

Das Mehr kommt hoffentlich direkt am nächsten Wochenende. Gegen Bochum gilt es den Sack zu zu machen. Der Klassenerhalt gegen Bochum wäre wie ein Spaghetti-Eis. Kennen wir. Bestellen wir jede Saison immer wieder. Einfach gut und in Ruhe zu genießen. Aber egal was nun kommt, ich glaube wir sind über den Berg. Weil auch wenn wir den Saisonausgang nicht komplett selbst beeinflussen können, so glaube ich doch, dass wir in Augsburg wieder auf unserem Weg angelangt sind. Zurück in der Spur nach einigen schwierigen Jahren. Wohin uns diese auch immer führen wird in nächster Zeit.

3. Advent: Ein Leben lang, nur der FCA

Zum dritten Advent hat sich Stefan bereit erklärt unsere Reihe #ImmernochOriginal1907 fortzusetzen, in der Fans erzählen, wie sie zum FCA gekommen sind und warum es sie immer noch in die Kurve verschlägt. Viel Spaß beim Lesen!

Ich soll einen Text darüber schreiben, warum ich FCA-Fan bin? Also nicht soll, aber Andy fragte mich, ob ich will. Nein, natürlich will ich nicht. Das ist ja auch eine recht unsinnige Frage: Warum bin ich Fan des FC Augsburg? 

Für mich ist diese Frage gleichzusetzen mit: Warum gibt es Luft? Warum bin ich ein Mensch? Warum sollten Frauen und Männer gleichgestellt sein?

Isso. 

Das ist die einfache Antwort. Seinen Lieblingsverein kann man sich nicht aussuchen, da bin ich fest überzeugt von. Vielleicht kann das Jason von Juterczenka von den Wochenendrebellen, aber die meisten von uns können es nicht. Und bevor nun Fragen aufkommen: Ich habe es wirklich versucht. Mehrmals. 

Denn es ist so: Ich bin in Augsburg aufgewachsen und dort zwar vornehmlich mit dem örtlichen Eishockey-Verein sozialisiert worden, hatte jedoch auch stets Interesse für Fußball im Allgemeinen und seit ich etwa fünfzehn Jahre alt war für den FCA im Speziellen. Damals spielten wir noch im Rosenaustadion, diesem wunderschönen weitläufigen Rund, über das mir meine Großeltern schon tolle Geschichten erzählten. Mein Opa schaufelte Schutt, der heute unter den Tribünen liegt und meine Oma spielte dort mal Rasenhandball, gewann mit ihrem Verein und fuhr dann mit ihrem Team in einem offenen LKW zurück nach Mindelheim. Ob die Geschichten stimmen? Keine Ahnung. Aber sie waren faszinierend und so hatte das Stadion damals schon eine gewisse Anziehungskraft auf mich. Und naja, da spielte eben auch so ein Verein mittelmäßig guten Fußball. 

Nach dem Abitur ging es dann weg aus der Fuggerstadt. Zunächst nach Barcelona, wo kein Eishockey gespielt wurde. Aber Fußball. Richtig guter sogar. Damals, 2005 und 2006 wahrscheinlich der beste, den ich seitdem gesehen habe. Mit dem FC Barcelona warm zu werden, war also nicht schwer. Zumal die Stadt die Liebe zum Verein auch ganz anders auslebt als ich das aus Augsburg gewohnt war. Und wenn ich an die Stimmung im Camp Nou denke, die ich leider nur ein Mal live erleben konnte, bekomme ich immer noch Gänsehaut. Zur gleichen Zeit geschah jedoch auch in Augsburg etwas, das das Interesse der einheimischen Bevölkerung an diesem Fußballverein aus der Rosenau weckte: Der Aufstieg in die 2. Bundesliga. 

Ich war nicht dabei, als der Verein den Schritt in den Profi-Fussball machte – was beim zweiten Aufstieg fünf Jahre später glücklicherweise anders sein sollte. Dazu kommen wir jedoch noch. Dennoch merkte ich, wie der Aufstieg mein Interesse am heimischen Fussballverein steigerte. In jener Zeit verschlug es mich zum Studium ins Rheinland, ins Umland von Köln. Durch die Dauerbeschallung der ortsansässigen Medien und Kommilitonen beschäftigte ich mich also gezwungenermaßen zum ersten Mal auch mit dem 1. FC Köln. Die Identifikation mit dem Verein und seine glorreiche Vergangenheit, vielleicht aber auch der Hype um einen gewissen Lukas Podolski ließen mein Interesse wachsen. Zu einer Liebe wurde es nie und mittlerweile ist eine gewisse Häme für den Effzeh gewachsen, obwohl oder vielleicht auch weil ich nun schon seit über zehn Jahre fest direkt in der Domstadt lebe. 

Ehrenrunde in der Allianz Arena. Die noch anwesenden Fans dürften Augsburger gewesen sein. (Foto: privat)

Dass mir die Geschicke dieses kleinen Fussballvereins aus Augsburg wohl doch mehr am Herzen liegen, als ich dachte, wurde mir auch genau in dieser Zeit nach dem Aufstieg in die 2. Bundesliga bewusst: Am 16. März 2007 fuhr ich mit meinen Eltern knapp 65 Kilometer nach Westen in die zwei Jahre zuvor eröffnete Allianz Arena. Wir hatten über einen Bekannten Karten für den VIP-Bereich bekommen und hielten uns vor dem Spielbeginn dort auf, denn es war meiner Erinnerung nach recht frostig an diesem Tag. Als wir dann auf unsere Plätze gingen und die Mannschaften das Spielfeld betraten, wurde es erwartungsgemäß laut in diesem spektakulären Stadion. Doch nicht für die Münchner Mannschaft, die an diesem Tag auch nicht der FC Bayern war und die wir zu sehen nach München gefahren sind, jubelten die meisten der Fans im Rund. Gefühlt die Hälfte des Stadions war besetzt von Augsburgern, die ihren FCA vor dem Duell gegen den TSV 1860 München anfeuerten. Mein kleiner FCA. In der Allianz Arena. Ich hatte – ungelogen – Tränen in den Augen. Dass Leonhard Hass, Axel Lawarée und Patrick Mölzl den Löwen dann auch noch eine saftige Derby-Niederlage bescherten war die Kirsche auf der Torte dieses emotionalen Tages.

Dann ging es für insgesamt drei Jahre in den Süden Englands, nach Brighton. Also für mich. Für den FCA ging es stetig bergauf und nach Rainer Hörgl, Ralf Loose und Holger Fach übernahm mit Jos Luhukay ein Trainer die Geschicke am Lech, den ich aufgrund seiner Verdienste wohl auf ewig einen Platz in meinem Herzen einräumen werde. Bevor Luhukays Mannschaft jedoch das erste Mal um den Aufstieg in die Bundesliga kämpfen sollte, stand noch ein ganz anderes Highlight an: Das Pokal-Halbfinale beim SV Werder Bremen. Wie es zu diesem Spiel kommen konnte, daran wird man sich nicht nur in Augsburg, sondern sicherlich auch in Köln noch heute erinnern. Denn nach der frühen Augsburger Führung, schaffte es der Effzeh das Spiel nur mit acht Spielern zu beenden. Unter anderem bekam Lukas Podolski in diesem denkwürdigen Viertelfinale des DFB-Pokals der Saison 2009/10 seinen ersten Platzverweis als Profi-Fussballer.

Bremen also. Von London-Luton gab es eine Direktverbindung in die Hansestadt und ich buchte das Ticket schon als die Auslosungskugeln noch warm waren. Etwas erstaunt war ich dann jedoch schon, dass ich nicht der einzige FCA-Fan an Bord der kleinen Propellermaschine (!) war, die noch vor Sonnenaufgang den Ärmelkanal in Richtung Norddeutschland überqueren sollte. Den Tag verbrachte ich mit einer Freundin, ebenfalls Augsburgerin, die mir die Stadt zeigte. Sie studierte in Bremen und kannte daher ein paar nette Ecken, Kneipen und Straßen. Dass das Spiel dann recht verdient verloren ging, empfand ich damals als nicht weiter tragisch. Der Ausflug, das Erlebnis und das Träumen von einem Finale in Berlin waren genug emotionale Befriedigung um meine Bindung zum Verein zu bestärken. Ebenso fühlte sich der Nicht-Aufstieg nach der verlorenen Relegation in dieser Saison auch nicht so tragisch an. Die Reife fehlte meines Empfindens in der Mannschaft, die Grundlagen hingegen waren vielversprechend, sodass die Hoffnung auf ein baldiges Erstliga-Dasein durchaus berechtigt war. 

Roy Keane als Sunderland Manager bei einem Testspiel in Dublin gegen Bohemians FC (Foto: privat)

In der Aufstiegssaison besuchte ich wohl so wenige Spiele des FCA wie kaum zuvor in einer Spielzeit und auch nie wieder danach. Die Spiele sah ich jedoch nahezu alle. Irgendwie. Denn Streaming im Jahr 2011 bedeutete nicht DAZN, sondern irgendein verpixeltes Video auf einer russischen Website, die man besser nicht besucht, wenn einem die eigene IT-Sicherheit am Herzen liegt. War mir aber egal, denn mir lag der FCA mittlerweile so sehr am Herzen, dass ich lieber ein torloses Remis gegen Duisburg in meinem Souterrain-Studentenzimmer schaute als Manchester United gegen Chelsea im bumsvollen Pub nebenan. Als sich abzeichnete, dass es auf einen Heim-Showdown gegen den FSV Frankfurt hinauslaufen wird, setzte ich mich in meinen roten Renault Clio und fuhr los. Zwei Tage später – da ich kein Fährticket gebucht hatte, kam es zu einem kleinen Aufenthalt in Dover – kam ich am Sonntag, den 8. Mai 2011, in Augsburg an. Ungeduscht, übermüdet und fünf Stunden vor Anpfiff. Was dann folgte, haben wir wohl alle hunderte Male gesehen. 15:13 Uhr, 85. Minute, Ecke Thurk, Tor Hain, völlige Ekstase. Für mich war dieser Moment einer von vieren, die sich in meine Seele eingebrannt haben und mich derart stark emotionalisieren, dass mir das Wasser in den Augen steht. Zwei hier noch nicht beschriebene sollten noch folgen.

Der FC Augsburg zog also in die Bundesliga ein und ich in meine erste Wohnung nach dem Studium in einem sehr traditionellen Kölner Stadtteil. Diese Nähe zu den Auswärtsspielen in der Bundesliga war es auch, die meine ersten Jahre in Köln so sehr prägten, dass ich mir keine Gedanken mehr darüber machen musste, welchen lokalen Verein ich denn nun versuchen möchte toll zu finden. Als Ersatzdroge sozusagen. Gut funktioniert hatte dies ja bisher ohnehin nicht. Nicht mit dem 1. FC Köln, nicht mit Brighton & Hove Albion, und auch nicht mit den Shamrock Rovers, deren Spiele ich während eines halbjährigen Praktikums in Irland ab und an besuchte. Und so kamen in den folgenden Jahren einige Highlights dazu, was mein Faible für eindrucksvolle Stadien anbetrifft. Schalke, Dortmund, Hamburg – ich habe mitgenommen was beruflich und privat verträglich war. Eine besondere Liebe entwickelte ich vor allem für die erste Runde des DFB-Pokals. Oberhausen, Wilhelmshaven, Ravensburg, Elversberg. Kleine Stadien und Fans, die sich freuen, den großen Bundesligisten zu empfangen. Also den FCA. Und ich konnte mich noch gut daran erinnern, dass das mal genau andersherum war und man in der Rosenau ehrfürchtig auf die Großen da oben schaute. 

Dass man als kleiner FC Augsburg mal wieder ehrfürchtig und voller Vorfreude auf die ganz Großen schielte, kam dann mit dem tollen Ergebnis der Saison 2014/15 einher. Die Freude auf das Abenteuer UEFA Cup steigerte sich bei mir ins nahezu unermessliche, als ich gerade mit meiner Frau in London auf Städtereise war. Sie schaute sich die Kronjuwelen an, ich die Auslosung der Gruppenphase auf Handy. Und dann wurden die Namen gezogen: Alkmaar. Geil, knapp drei Stunden mit dem Auto. Bilbao. Mega, Direktflug ab Köln. Belgrad. Fantastisch, in Serbien war ich noch nicht. Auch bis heute noch nicht. Denn im Gegensatz zu Bilbao und Alkmaar, konnte ich die Nacht von Belgrad nicht im Stadion miterleben. Der Grund war jedoch ein erfreulicher: Die Geburt meiner Tochter war für just den Tag des Spiels ausgerechnet. Das war mir dann doch zu riskant und hätte sich wohl auch nicht positiv auf meine Ehe ausgewirkt. Dennoch war dieses letzte Vorrundenspiel in Belgrad das dritte hoch emotionale Erlebnis in meinem FCA-Leben. 

Ich saß nun also auf dem heimischen Sofa, meine Frau ging nicht nur aufgrund ihrer Hamburger Herkunft, sondern wohl auch aufgrund der Aussichtslosigkeit der Situation nach dem 1:0 von Partisan ins Bett. Hong, Verhaegh und nicht zuletzt Raul Bobadilla sorgten infolgedessen für das, was heute so ziemlich jeder in Augsburg als die Nacht von Belgrad kennt. Und ich sorgte dafür, dass so ziemlich jeder meiner Nachbarn seit diesem Abend wusste, wie sehr ich Raul Bobadilla liebe und dass ich gerne meine Kinder nach ihm benennen möchte. Letzteres verhinderte glücklicherweise meine Frau dann doch noch. 

The Kop (Foto: privat)

Nicht verhindern konnte sie, dass ich mir selbst das wohl beste Geschenk zu meinem 30. Geburtstag machte, dass ich mir vorstellen hätte können: Ihn in Liverpool feiern. Nach einem Spiel meines FC Augsburg bei Jürgen Klopps legendären Liverpool FC. Was für eine Geschichte! 

Von den vier emotionalen FCA-Momenten war dieses Spiel in Liverpool dann auch sicherlich ein Höhepunkt, der für die Ewigkeit bleibt. Jedoch berühren mich die drei anderen Momente mindestens gleichwürdig. Sie alle haben dazu beigetragen, dass ich auch heute noch dabei bin. Jeden Spieltag. Vor dem TV oder im Stadion. Bei Sieg und bei Niederlage. 

Wirklich aussuchen konnte ich es mir nicht. Denn selbst jetzt, als ich diesen Text nun also doch geschrieben habe, gibt es keine andere Antwort auf die Frage gibt, warum ich denn Fan dieses Vereins bin, als: Es ist halt so. 

Und vielleicht macht genau das bei all der Komplexität, die wir in unseren Leben sonst vorfinden, auch genau der Reiz am Fan-Dasein. Bedingungslos für etwas eifern, für das es keine rationale Erklärung geben muss.

2. Advent: Unser Spiel der Hunderttausend

Es ist mir heute eine Ehre, dass Stephan Urban – derzeitiger Host des FC Augsburg Podcasts „Auf die Zirbelnuss“ – seine persönliche Geschichte erzählt, warum er Immer noch Original 1907 ist. Wer seine eigene Geschichte auch teilen und uns damit allen eine Freude machen will, der schreibt gerne eine Email an kontakt@rosenau-gazette.de. Viel Spaß beim Lesen und einen schönen zweiten Advent.

Was ist Original 1907? Für mich ist das der Verein aus den Erzählungen von meinem Vater, wie er Helmut Haller im Rosenaustadion gesehen hat, und wie beim Spiel der Hunderttausend die Leute ins Olympiastadion geströmt sind. Die Flutlichtmasten des Rosenaustadions konnte ich damals noch von meinem Kinderzimmer aus sehen, und auch ein bisschen Träumen dort vielleicht mal Bundesligafußball zu sehen.

In dem immer noch besten Fußballmanager „Anstoss 3“ konnte ich diesen Traum sogar noch ein befeuern, und ein bisschen Walther Seinsch spielen und den FCA in die Bundesliga führen. Natürlich dann noch ein paar Schritte weiter als jetzt, mit Meister-, Pokal- und sogar Champions League Titeln, ebenso wie auch einige Weltmeister aus der eigenen Jugend. Wer damals Anstoss 3 mit User-Files gefüttert hat, konnte den Abstieg vor dem Aufstieg direkt mitverfolgen, in der Originalversion aus dem Jahre 2000 mit leicht veränderten Namen war die Mannschaft, die den FCA repräsentierte noch in der damals viergleisigen Regionalliga. Mit den ersten User-Files, die echte Teams und Spieler einführten, schrumpfte die Regionalliga auf zwei Ligen zusammen und der FCA war auf einmal nicht mehr spielbar.

Vom Dortmund-Fan bis an diesen magischen Ort. Oh, süßer FCA.

Da ich in den Jahren 1996 und 1997 mich begann für Fußball zu interessieren, begann ich meine Fußballfankarriere als BVB-Fan. Mein erstes Spiel im Rosenaustadion war daher auch ein Ligapokalspiel zwischen Borussia Dortmund und dem FC Bayern. Und ich hätte wahrscheinlich den FCA komplett aus dem Blick verloren, wenn nicht in der Bayernliga das damals großartige Radio Fantasy nicht große Werbung für den FCA gemacht hätte. Zwar reichte es da noch nicht zum Stadionbesuch, aber ich verfolgte zumindest die Spiele im Radio, der Zeitung und kurze Zeit später stieg der FCA wieder zurück in die Regionalliga auf, mit im Gepäck die einzige Auszeichnung bis heute: Rekordmeister der Bayernliga.

Danach warf ich auch hin und wieder einen Blick auf den großartigen Liveticker. Bis es eines Tages hieß: „Großer Tag, der FC Augsburg kann gegen den SSV Jahn Regensburg den Aufstieg in die 2. Bundesliga klar machen und das auch noch gleich um die Ecke im Rosenaustadion.“ Und für mich war klar, das musste ich sehen. Also überredete ich meinen Vater und meinen damals besten Kumpel (Bayernfan, dessen Vater sogar ein Sechzger) Karten zu besorgen. Und ein paar Tage später war ich auf einmal bei meinem ersten FCA-Spiel. Das Spiel lief so, wie ich den FCA die nächsten Jahre auch kennen lernen würde: Nicht ganz einfach. Der FCA brauchte lange um in Führung zu gehe. Kurz davor hatte sogar ein Spieler von Regensburg Gelb-Rot gesehen. Es schien als würde alles für den FCA laufen, bis Mark Römer ebenfalls Gelb-Rot sah und der FCA das Zittern bekam. Postwendend kassierte das Team von Trainer Hörgl noch zwei Tore und ich saß ziemlich bedröppelt auf der Gegengeraden im ausverkauften Rosenaustadion.

Den Spruch den viele damals schon vor dem Spiel auf den Lippen hatten: „Typisch Augschburg!“. Denn das können einige vielleicht nicht glauben, aber der Aufstieg des FC Augsburg durch die Ligen bis in die Europa League hat die Stadt und seine Augsbürger verändert. Bis dahin war die Erwartungshaltung, dass man als Augschburger nichts geschenkt bekommt. Eher, dass die Stadt alles noch schlimmer macht. Baustelle, wo man gerade fahren will: „Typisch Augschburg!“, Nervige Ampelschaltung: „Typisch Augschburg!“, vergebener Aufstieg: „Typisch Augschburg!“

Die folgende Saison gönnte ich mir noch keine Dauerkarte, aber einige Einzelspiele. Und siehe da: der FCA stieg auf. In der zweiten Liga angekommen entbrannte dann endgültig meine Liebe für den FCA. Sofort eine Dauerkarte gegönnt und nie wieder abgegeben. Es folgte eine fulminante Premierensaison, die kurzzeitig sogar so aus sah, als würde der FCA direkt in die Bundesliga marschieren. Obwohl es, vielleicht sogar zum Glück, nicht gereicht hatte, hatte die Saison zwei große Highlights, die den überregionalen Medien ein wenig entgingen: Die beiden Spiele gegen den TSV aus München. Für mich natürlich auch die Verbindung zum FCA meines Vaters. Und die Spiele hielten was er versprach: „Da ging’s immer hoch her.“ Und wie! Also in der Liste der großartigsten Spiele sind die beiden auf jeden Fall dabei. Das Hinspiel in der gesteckt vollen Rosenau ging 3:0 aus, die Löwenanhänger rissen beinahe den Zaun zum Spielfeld nieder. Die Polizei lief auf der Tartanbahn auf. Das war mein erstes Spiel, wo die Luft wirklich geknistert hatte.

So sieht jemand aus, der noch Stadien mit Tartanbahn kennt.

Und dann kam in der Rückrunde das Spiel in der Allianz Arena. Die Tickets dafür konnte man Monate vorher schon online bestellen ohne Begrenzung für Augsburger. Der chronisch klamme TSV war bestimmt froh über jeden Euro. Was dann passierte, ist absolut einmalig und wird es in dieser Form nie wieder geben: die symbolische Wiederholung des Spiels der Hunderttausend. Gefühlt halb Augsburg machte sich über die A8 oder per Zug auf in die Landeshauptstadt. Mit im rappelvollen Sonderzug schon Polizisten in voller Montur, natürlich noch mit einem Abstecher über das Verhaspelmoor. Wir, ich mit zwei Kumpels im Gepäck, kamen kurz vor Anpfiff erst ins Stadion, am Platz schon eine Fahne. Der Gästeblock und die zwei Ränge darüber waren als Augsburg-Blöcke gedacht und hatten daher jeweils Fahnen in Rot, Grün und Weiß. Aber von Augsburg-Blöcken zu sprechen untertreibt maßlos. Mehr als das halbe Stadion war in Schwabenhand. Durchs ganze Stadion drangen „AUGSBURG! AUGSBURG!“-Wechselgesänge. Die Stimmung war großartig und die Mannschaft tat ihr übriges. Mit dem 3:0 setze der FCA nicht nur ein sportliches Ausrufezeichen. Nein, für mich war das kein schnödes Ergebnis wie jedes andere. Das war für mich wirklich der Moment, wo mir klar wurde, mit diesem Verein ist ganz Großes möglich. Und ein anderer Gedanke den bestimmt viele unterbewusst hatten: „Wir sind wieder wer.“

Das war wirklich der Anfang vom Ende des Spruchs: „Typisch Augschburg!“ Auch wenn das vielleicht noch nicht bei allen Augsburgern angekommen war. Die nächsten Jahre, die auch teilweise grauenhaften Fußball beinhalteten, zeigten es. Und man schafft das, was der Mannschaft um Helmut Haller verwehrt blieb. Man stieg in die Bundesliga auf. Nicht nur das. Man spielte dann sogar nach zwei hart umkämpften Klassenerhalten großartigen Fußball. Schlug sogar zweimal den großen FC Bayern. Und wurde mit der Europa League belohnt, und das sogar an der altehrwürdigen Anfield Road.

Nach dem Spiel in Liverpool hab ich gesagt: „Das ist der Höhepunkt und geiler wird es nicht mehr“. Ich bin trotzdem noch regelmäßig ins Stadion, habe viele Auswärtsfahrten und Abenteuer erlebt. Und zwischenzeitlich wurde der Fußball wieder grauenhaft. Und ich hab mir in den Jahren unter Manuel Baum ernste Sorgen gemacht und überlegt kürzer zu treten. Und jetzt spielen wir zum zehnten Mal in der Bundesliga und es ist Corona und ich bin seit langem nicht mehr im Stadion gewesen. Und genau jetzt merke ich gerade, wie sehr mir das wirklich fehlt. Denn ich liebe zum einen den FCA, aber zum anderen auch die Leute mit denen ich im Stadion bin. Ein paar ehemalige Arbeitskollegen, aber auch einige Leute die ich sonst nie kennen gelernt hätte. Mir kommen jetzt schon die Tränen beim Gedanken, an das Spiel, wenn auf einmal wieder alle da sind. Meinen Vater werde ich übrigens nicht im Stadion treffen. Nicht weil es im irgendwie schlecht geht, oder so. Nein, weil er es schon lange nicht mehr aushält, da er sich zu oft aufregen muss. Schon seit der zweiten Liga: „Typisch Augschburg!“

1. Advent: Augschburgerin im Exil

29.11.2020. Heute ist der erste Advent. Nachdem Andy uns schon grandios dargelegt hat, warum er einst sein Herz an den FCA verloren hat, darf ich – Irina – heute die „Adventsreihe“ der Rosenau-Gazette fortsetzen. Die nächsten drei Sonntage werden dann weitere Fans über ihre Passion für den FCA berichten. Natürlich ganz stilecht im Ugly Christmas Sweater und mit Glühwein in der Hand. Was gibt’s schließlich schöneres als den FCA in Verbindung mit Plätzchen, Kinderpunsch, warmen Gedanken an den Augsburger Christkindlsmarkt und das Schwelgen in Erinnerungen? Stay tuned!

Im Herzen eine Augschburgerin!

Nun, ich sitze jedenfalls grade hier inmitten des ersten Advents und sinnier‘ über meine Leidenschaft für den FC Augsburg. Viele Bilder ziehen vor meinem inneren Auge vorbei. Inmitten dieser unsteten und hochdynamischen Zeit, Corona hat sich längst als Unwort des Jahres 2020 etabliert, gibt es doch nichts erwärmenderes, als sich die schönen Aspekte des Lebens vor Augen zu führen. Und meine Erinnerungen an den FCA zähle ich hier dazu.

Zum FC Augsburg hab ich eine ganz innige Verbindung und doch ist sie gewissermaßen distanziert. Schließlich lebe ich seit 2014 fast 600 Kilometer entfernt – von der schönsten Stadt der Welt. Meiner Geburtsstadt Augsburg. Hier, in meiner ostwestfälisch-lippischen Wahlheimat, weiß keiner so wirklich was über den FCA. Natürlich kommt unweigerlich und oft die Aussage, dass Augsburg doch irgendwo bei München liegt. Wenn die Leute hier überhaupt wissen, wo Augsburg geografisch einzuordnen ist. Ich darf hier jedenfalls viel Aufklärungsarbeit leisten, so viel steht fest.

Es ist doch schon erstaunlich, dass sich Heimweh und „Patriotismus“ erst mit einer gewissen Distanz oder Zeit der Abwesenheit einschleichen. Vor meinem Umzug war ich einfach auf dem Pass geboren in Augsburg. Heute bin ich stolz, Augschburgerin zu sein. Und bin ganz stolz erfüllt, wenn ich im TV was über meine City höre. Das ist meine Stadt. Und dort ist mein Fußball-Club, der sich langsam, aber sicher, vor vielen Jahren mein Herz erschlichen hat.

Ich selbst spiele, seit ich fünf Jahre alt bin, Fußball. Zufällig, weil ich als Kind aus der örtlichen Ballettgruppe geflogen bin und wegen – nennen wir es leichten Bewegungsdrangs – zum Fußball geschickt wurde. Der Fußballplatz liegt auch ganz zufällig direkt neben dem Grundstück meiner Eltern. Ein Katzensprung quasi. Als Mädchen in den 90ern Fußball zu spielen, das war noch was ganz besonderes. Da war man wirklich froh, dass es in der Nähe eine Mädchenmannschaft gab. Einen Luxus, den ich damals direkt vor meiner eigenen Haustür hatte. Und als eine der wenigen Fußballerinnen damals war man schon ein kleines Einhorn, selten und bewundert zwar, aber auch belächelt. Frauen und Fußball? Für mich seit jeher eine geniale Kombination. Für viele andere (teilweise heute noch) schwer erträglich.

Dieser örtliche Fußballverein hat mich jedenfalls, die viele Jahre aus der Ferne dem FC Bayern rund um Lothar Matthäus die Daumen gedrückt hat, gewissermaßen zum FCA geführt. Eines Tages, ein kalter Tag im Frühling 2005, bin ich mit meinen Fußballmädels ins alt-ehrwürdige Rosenaustadion zu einem Regionalliga-Spiel gefahren. Vor diesem Besuch war ich einige wenige Male im Olympiastadion in München gewesen. Die Rosenau – jeder der diese Spielstätte einmal live miterlebt hatte, war direkt in ihrem Bann gefangen. So hat es auch mich mit damals 13 Jahren gepackt – der kleine FCA, dieses charismatische Stadion, das unzählige Geschichten zu erzählen hatte. Und dazu Spieler, die man zwar lokal kannte, aber national niemand. Ich hab’s sofort geliebt. Ein Quasi-Antagonist zum schillernden FC Bayern. Und dem glamourösen Olympiastadion.

Als der FCA dann erst im zweiten Anlauf den Aufstieg geschafft hat, hatte ich mich schon als Stadiongängerin etabliert. Samstag und Sonntag waren bei mir immer für den FCA und die eigenen Fußballspiele reserviert. Dazwischen gab’s nicht mehr viel, bisschen Schule, ein wenig Familie. Und ich hab quasi nur fürs Wochenende gelebt! Trotzdem hab ich erfolgreich mein Abitur bestanden, in dem Jahr, in dem der FCA in die erste Fußballbundesliga aufgestiegen ist. Und es in die großen Stadien der Republik ging, wie beispielsweise nach Dortmund in den Signal Iduna Park. Leider habe ich da oft Probleme mit der Postleitzahl und sitze nicht immer im Gästeblock. 🙁

Früher ging man entweder ins Stadion oder man hat erst Tage später was über den Ausgang der Partie erfahren. Fußball unterhalb der Bundesliga im TV? Fehlanzeige. Für ein Mädel meines Alters und aus dem Augsburger Landkreis kommend ein schwieriges Unterfangen. Ab und an konnte ich meine Eltern zwar nötigen, mich nach Augsburg zu fahren, doch das waren eher die Ausnahmen und nicht die Regel. Erst als ich 16 war, der FCA ist zwei Jahre vorher in die zweite Fußballbundesliga aufgestiegen, bin ich dann häufiger ins Stadion. Und meine erste Dauerkarte gabs dann quasi mit der Volljährigkeit in meinem Abi-Jahr. Fünf Jahre lang war ich quasi jedes Spiel im M-Block. Bei Wind und Wetter, Kälte und Schnee. Das waren mir die liebsten Spiele! Flutlicht, Montagabend, zweite Liga – geiler Scheiß. Das waren die Momente, über die ich heute am liebsten nachdenke. Wenn’s Stadionbier wärmer ist als die Umgebungstemperatur, dann war Fußball angesagt.

Zu diesem Zeitpunkt, es war der 8.5.2011, stand ich im M-Block, als Michael Thurk zur Eckfahne sprintete. Den Eckball in den Fünfmeterraum zirkelte und Stephan Hain den Ball ins Tor spitzelte. Dann brachen alle Dämme. Rettig und Luhukay sprinteten in die Spielertraube, die das vermeintliche Siegtor feierte. Der M-Block außer Rand und Band, Bier schoss in die Höhe, die Fans hüpften und kreischten unnachgiebig. Und ich mittendrin. Wollte es auf Facebook posten, diesen Moment festhalten. 1. Bundesliga in Augsburg – das ist ein denkwürdiger Tag! Aber wie immer in der damaligen Impuls-Arena- kein Empfang. Was soll’s.

Nach Abpfiff des Schiedsrichters wurde es dann hektisch, der Fanpulk drang aufs Spielfeld und breitete sich dort aus. Mittendrin, wieder ich. Die Kleine aus dem Landkreis, total verirrt auf dem grünen Rasen. Die dann in völliger Euphorie Jos Luhukay auf die Schultern sprang, ihn herzte und sich tausendmal bedankte – für diesen Moment. Für die Sensation. Bei der Rückfahrt mit der Tram zum Hauptbahnhof hab ich gelacht wie noch nie und abwechselnd geweint, wie beim ersten Herzschmerz. Das ist halt der FCA. Das ist diese sagenhafte Passion, man weint mit, man lacht. Es kann einem nicht egal sein, was dieser Club macht. Man hängt irgendwie mit drin.

Was ich mit diesem Club, mit diesem Verein und der Familie der Fans so alles erleben durfte – das ist unbeschreiblich. Die ersten zwei Saisons in der Bundesliga, dieses immer ganz knappe „Nicht-Absteigen“. Ein erster Vorgeschmack des Herzinfarkts. Permanent im Krisenmodus zu sein und doch entspannt zu bleiben, das beschrieb damals wie auch heute den FCA. Als wir dann 2014/2015 die Europa League klar machten, war das quasi die Meisterschaft für mich. Der FCA in Europa, da kennt uns #keinesau. Noch schlimmer, als wenn ich hier in Ostwestfalen vom FCA spreche, ich schwör’s.

Jedenfalls hatte ich meine schönste Auswärtsfahrt nach Alkmaar, Holland, im Jahr 2015. Es war der 3. Spieltag der laufenden Europa-League-Saison. Nach verfrühtem Feierabend am Donnerstag, dem 22.10.2015, wurde der örtliche Supermarkt geplündert, meine zwei besten Freunde und eine Arbeitskollegin mit dem Auto abgeholt und die Segel gen Holland gehisst. Von mir, die damals dann schon in Ostwestfalen lebte, ist man schnell in Holland. 3 Stunden, 4 Bier und 2 Staus später sind wir jedenfalls in Alkmaar angekommen. Traum von Amsterdam wurde während des Fußmarsches spontan zu Traum von Alkmaar umgedichtet. Geilstes Feeling, international.

Der FCA hat genialer Weise noch mit 1:0 gewonnen und meine Truppe und ich – wir waren in einer örtlichen Kneipe. Ich habe meinen FCA Schal gegen den Alkmaar Schal des holländischen Kneipen-Wirts getauscht. Heute hängt der FCA Schal in der Fußballkneipe in Alkmaar neben einem AC Mailand und einem FC Barcelona Schal. Das ist Fußball, das ist Europapokal. Das war ein magischer Abend. Und er war noch lange nicht zu Ende, denn es ging am selbigen Abend noch weiter nach Amsterdam, den Sieg feiern. Ich hab’s gefühlt damals, ich fühle es jetzt. Leidenschaft, Nostalgie und ganz viel Sehnsucht. Ob ich nochmal was derartiges erleben darf mit unserem FCA? Ich hab auf jeden Fall den Urenkeln bald mal viel zu erzählen. Und darauf bin ich stolz. Das ist Original 1907!

Heute bin ich älter, weiser und kritischer mit dem FCA. Ihr lest es öfter hier in der Rosenau Gazette. Ich bejubel‘ nicht mehr jede Aktion und laufe nicht blind hinterher. Hinterfrage auf der einen Seite und lobe auf der anderen. Der Verein ist nicht mehr der kleine Underdog irgendwo aus dem Süden der Nation. Sondern ein gestandener Bundesligaverein. 10 Jahre in Folge, das ist kein Scherz – es ist Realität. Es macht mich stolz, damit aufgewachsen zu sein. Ein Teil davon zu sein und so viel miterlebt zu haben. Gute wie auch schlechte Zeiten. Ich freue mich, wenn ich irgendwann meinen Kindern kitschige FCA Strampler anziehen darf. Und mein Kind dafür rügen werde, wenn es kein FCA Fan werden sollte – nicht, dass diese Option überhaupt bestünde 🙂

Warum ausgerechnet ich ein Augschburger Original bin? Ich bin mit Augsburg heute verbundener als früher, als ich vor Ort war. Ich verfolge aufmerksam die Entwicklung der Stadt, des Landkreises und meines Herzensclubs. Freue mich immer noch wie ein Kind auf die Bundesligaspiele meines FCA, das zehnte Jahr in Folge mittlerweile. Das ist so geil, weil es so „unerwartet“ ist. Und immer noch unfassbar. Diese Dankbarkeit erfüllt mich von Zeit zu Zeit, auch das macht mich zum Original, denn jeder der es mit dem FCA schon länger hält, ist absolut dankbar für die Möglichkeit, Jahr für Jahr Bundesliga zu spielen. Beim FC Bayern anstatt bei Wehen-Wiesbaden. Es ist auch mal ganz schön zu wissen, dass viele Vereine gerne mit uns tauschen würden. Und wir in uns – ungeachtet von Corona – sportlich in einer ganz tollen Lage befinden.

Mittlerweile haben wir Fans aus aller Herren Länder. Und ich weiß, ich hab die Augsburg DNA, weil ich viele abwechslungsreiche Zeiten mitgemacht habe und doch dem FCA treu geblieben bin. Ich geh immer noch am liebsten mit Freunden ins Stadion, trink ein gutes Stadionbier und freue mich über jeden Punkt in der Bundesliga. Ich verteidige diesen Club – auch wenn’s manchmal sinnlos ist und mir die Argumente ausgehen. Bin tieftraurig nach Niederlagen. Kann mir ehrlich nicht helfen, das Wochenende ist dann immer versaut. In Diskussionen gebe ich mein Herzblut für den FCA.

Tobi Werner ist immer noch der größte für mich – das Trikot mit der Nummer 13 hängt im Schrank und ich habe diese ultimative Sehnsucht, gerade in kontaktlosen Zeiten wie Corona, nach Menschen im Stadion und nach glorreichen Auswärtsfahrten. Das sind die wirklich magischen Momente. Das sind die Momente, die jetzt euer Herz erfüllen, wenn Corona mal wieder auf die Stimmung drückt. Und die ihr euch im Geiste unter den Weihnachtsbaum legt. Neben Gesundheit für eure Liebsten.

Bleibt gesund, Leute. Folgt den Regeln. Genießt den Advent. Bleibt Originale und lasst euch die Liebe für den FCA nicht nehmen. Nicht durch schlechte Zeiten. Auch nicht durch schlechte Publicity. Und schon gar nicht von Karl-Heinz Rummenigge. Keep calm und support FCA. Ich tu’s.

Der FCA und seine Identität: nicht viel außer Marketing?

Dieser Text erschien zuerst in der Kolumne „Einwurf aus der Rosenau Gazette“ bei presse-augsburg.de.

Neues Jahr, neues Glück. Es ist schon fast zur Tradition geworden, dass im Sommer nicht nur der Kader umgebaut wird, sondern auch Marketingkampagnen zur Mitgliederwerbung gefahren werden. Letztes Jahr lief alles unter dem Motto „111 Jahre FCA“, dieses Jahr heißt es überaus kreativ „Wir der FCA“.Wer hier schon etwas länger mit liest, der weiß, dass mich die andauernde Marketing-Maschine mittlerweile annervt. Jahrein und jahraus immer wieder die gleichen Ansätze und Aufrufe. Außer dem Aufruf Mitglied zu werden (oder zu bleiben); ansonsten kein Inhalt.

Jetzt hat man sich also Gedanken über die Mitgliedschaft gemacht und ein neues Mitgliederkonzept aufgesetzt. Einfacher soll es werden. Je nach Alter wird Mensch in bestimmte Kategorien eingeteilt. Sieben gibt es davon und ein bisschen lesen ist schon nötig, um alles zu verstehen. Günstiger wird es auch, also wird sich wohl keiner beschweren. Dazu gibt es für alle einen kostenlosen Schal.

Ich vertrete immer noch die Meinung, dass es längst überfällig ist, sich als Verein Gedanken zu machen, welche Werte der Verein vertreten will. Nachhaltigkeit ist dabei ein Thema. Ob es so nachhaltig ist, wieder tausende Schals günstig produzieren zu lassen und einfach kostenlos zu verteilen, wo die Dinger doch nur bei den meisten im Schrank vergammeln werden, halte ich für fraglich. Das Geld fehlt ja zusätzlich dann auch bei der Jugend.

In den Mitteilungen zum Thema berichtet Michael Ströll, Geschäftsführer der FC Augsburg KGaA, vom Thema. Es ist für mich bezeichnend, dass dies kein gewählter Vereinsvertreter macht. Die Trennung Verein / Kapitalgesellschaft gibt es in der Praxis nicht. Der Verein wird von der Kapitalgesellschaft fremdbestimmt, während es eigentlich genau anders herum sein sollte. Auf der Jahreshauptversammlung ist es dann in der Vergangenheit schon mal vorgekommen, dass den Mitgliedern klar gemacht wurde, dass Themen der Kapitalgesellschaft den Verein nicht direkt tangieren. Es wird in Augsburg weiterhin strukturell nicht darauf geachtet, 50+1 umzusetzen. Es ist ermüdend, dass in dieser Hinsicht weiterhin nichts passiert.

Aber manche Themen scheinen ja immer wiederzukehren. Mir ist zum Beispiel auch entgangen, dass schwarz mittlerweile eine unserer Vereinsfarben ist, so wie bei Borussia Mönchengladbach oder den Dortmundern. Und unser rot hatte ich auch irgendwie anders in Erinnerung. Bei unserem neuen Auswärts-Trikot hat man auch keine Rücksicht vor dem Vereinswappen gemacht, dass man schnell umgefärbt hat. Cool sieht das ganze aus. Modisch. Aber mit dem Traditions-Club FC Augsburg hat es halt 0,0 zu tun. Ersetze schwarz durch neongelb und es ist 1:1 die gleiche Idee wie vor ein paar Jahren schon. Auch hier hat der FCA für den schnellen Merchandise-Euro klare Grenzen erneut überschritten.

Als Fan weiß man damit weiterhin nicht genau woran man ist. Die Mannschaft lässt sich am letzten Spieltag 1:8 in Wolfsburg abfertigen, die Charakterköpfe in der Mannschaft fehlen und der Verein bastelt weiterhin an der Marketingblase. Ich war lange nicht so ermüdet wie in dieser Sommerpause und die Vorfreude ist – trotz einiger hoffnungsspendender Transfers – bisher nicht zurückgekommen. Vier Wochen noch bis zum Saisonstart. Momentan könnte es mir nicht egaler sein.

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