So wütend
Am Anfang der Spielzeit träumte ich wie fast jedes Jahr vom Europapokal. Am Anfang der Woche erkannte ich diesen Verein nicht wieder. Mit Blick auf die vieldiskutierten Themen der Bundesligawoche legte am Sonntag Hannover 96 mit der Vorstellung von Thomas Doll beeindruckend vor. Doch schon am nächsten Tag tauchten die ersten Gerüchte über eine bevorstehende Verpflichtung von Jens Lehmann in Augsburg auf und als am Nachmittag die Bestätigung folgte, sah man vor dem inneren Auge, wie sich Stefan Reuter in Selbstzufriedenheit über diesen Konter aus dem Lehrbuch des Bundesligaboulevards sonnte. Selbst in Hamburg zog man in stiller Anerkennung den Hut.
Welchen Sinn die Verpflichtung des umstrittenen Altstars als Co-Trainer haben soll, mag sich dem gemeinen Fußballfreund auf den ersten Blick nicht so recht erschließen. Natürlich verfällt man in der gegenwärtigen Situation und mit Blick auf die beteiligten Akteure fast zwangsläufig in die gewohnten Mechanismen reflexhafter Kritik. Doch auch wenn sicherlich jedem ungeachtet von Klischee und Vorurteil eine faire Chance zugestanden werden muss, so bestehen doch berechtigte Zweifel, ob ein Jens Lehmann zu einem Verein wie dem FC Augsburg passt. Ungeachtet der ihm zugedachten Rolle als gut bezahlter Gesprächspartner für den Cheftrainer. Die Diva und der bodenständige Provinzverein?
Es sagt viel über die gegenwärtige Situation aus, dass das Medieninteresse am FCA zuletzt so groß war, als Liverpool mit Jürgen Klopp im Europapokal in Augsburg gastierte. Und dabei soll keinesfalls das oftmals rezitierte Klischee des etwas biederen aber durchweg sympathischen Familienvereins bemüht werden.
Ein Spiel, zwei Sichtweisen
Das andere Klischee dieser Tage ist mit einem Klapphandy verbunden. Ein kritischer Spieler wie Martin Hinteregger ist sicherlich nicht das reine Gegenbild zum stromlinienförmigen Mainstreamprofi. Aber es war sichtlich angenehm, einen Spieler zu sehen, der nicht immer fehlerfrei aber mit großem Herz, Leidenschaft und Sympathie spielte und argumentierte. Sein erstes Bundesligaspiel unter Manuel Baum entschied er noch mit dem Tor des Tages für den FCA. Das vermutlich letzte Spiel beendete er mit einer veritablen Grätsche am Mikrofon des Bayerischen Rundfunks.
Seine Kritik im Nachklang des Spiels mag man zu Recht kontrovers diskutieren. Es mag keine kluge Entscheidung gewesen sein, den Trainer in den Medien derart bloß zu stellen. Wobei die Wortwahl doch darauf hindeutet, dass dies weder in Inhalt noch Form in dieser Weise intendiert war. Aber er hatte Recht und dies mit jedem Wort. Das Spiel war eine Zumutung und die gewählte Taktik erwies sich schon nach den ersten Spielminuten als völlig falsch. Der über ein Jahr andauernde Leistungsabfall tritt mittlerweile überdeutlich zu Tage, was bislang nur durch einige gute Spiele kaschiert wurde, die zwar kaum Punkte aber Anerkennung brachten.
Man kann hier auch die Frage aufwerfen, ob die spielerische Entwicklung dem Trainer oder den besseren Spielern zu verdanken war. Normalerweise ist dies ein Wechselspiel, aber derzeit nimmt sich ein Faktor aus der Gleichung. Zuletzt wirkte Baum unsicher und vor allem auch – und das wiegt weit schlimmer – agierte er entgegen anderslautender Bekundungen ohne die notwendige Selbstkritik.
Da stand nun ein Hinteregger, der wie üblich kein Blatt vor den Mund nahm, während der Trainer sich in größter Erregung gemeinsam mit dem Manager über die Schiedsrichter echauffierte. Und dies in einer Wortwahl, die mindestens ebenso unangebracht war wie die Brandrede des Österreichers. Innenverteidiger wie auch Trainer waren nach dem Spiel sichtlich aufgebracht. Wie übrigens auch der gemeine Fan, der es mit dem FCA hielt und die vorangehenden 90 Minuten in Gefühlszuständen zwischen peinlich berührt und konsterniert ertragen musste.
Was eben nicht nur den Spielern anzulasten ist, denn dieselbe Mannschaft war schon gegen ein ebenso famos aufspielendes Gladbach zu anderen Leistungen fähig. Aber was nun blieb war ein Cheftrainer, der in der Pressekonferenz das zu Unrecht gegebene Tor in den Mittelpunkt rückte und allen Ernstes fabulierte, dass man mindestens das Unentschieden wenn nicht gar ein Sieg dank Kontertor verdient gewesen wäre. Nun war die Szenerie vollends nicht mehr ernst zu nehmen. Und es zeigt nicht nur die Empfindlichkeit der Führungsriege in der derzeitigen Situation, sondern vor allem auch eine bedenkliche Fehleinschätzung derselben.
Der neue Augsburger Stil
Das skurrile in dieser Situation ist nun, dass Reuter im Prinzip nun nichts anderes getan hat als Hinteregger. Durch die Verpflichtung von Lehmann hat er den Cheftrainer demontiert und ihm letztlich das Vertrauen entzogen. Der Clou ist dabei, dass er dies im Gegensatz zum Österreicher tat, ohne selbst das Gesicht zu verlieren. Man könnte fast den Hut ziehen vor diesem feinen Tackling.
Doch was bleibt ist das desolate Bild eines Vereins und seiner handelnden Personen, der zumindest im Boulevard abseits des Platzes wohl leider endgültig in der Bundesliga angekommen ist. Es gab immer wieder große und kleine Aufreger in Augsburg, die mal mehr oder minder souverän gelöst wurden. Und man hat auch gut daran getan, in den Krisen der letzten Jahre an den Trainern festzuhalten. Doch in der gegenwärtigen Situation wirken alle Beteiligten ratlos und lächeln über diese Ratlosigkeit hinweg. Selten hat sich ein Führungsteam mit wirklich jeder zu treffenden Entscheidung derart kolossal vertan. Man hätte die Situation ruhig und besonnen lösen können. Doch hieran hatte man kein Interesse. Es wirkt, als sei dies der neue Stil des FCA.
Und so zauberte man mit Jens Lehmann eine Überraschung aus dem Hut samt der üblichen abgedroschenen Phrasen vom Top-Profi, der für Siegermentalität und Einsatz stehe. Auf der Pressekonferenz betonte der Manager auch auf Nachfrage, dass er nicht den Eindruck gehabt habe, dass Martin Hinteregger noch bedingungslos hinter der Idee Augsburg stehen würde. Und auch da ist dem Innenverteidiger zu folgen. Denn diese Idee Augsburg ist nicht mehr die Idee, die den Verein über Jahre hinweg begleitet und ausgezeichnet hat. Es ist die selbstgefällige Idee einer Führungsetage, die das Augenmaß und das Gespür für den Verein verloren hat.