Kaderanalyse Sturm: Was leistet das Dreieck?

Im Sturm ist beim FC Augsburg in dieser Saison kaum ein Stein auf dem anderen geblieben. Im Zentrum dieses Umbaus stand vor allem Ermedin Demirović, der letztlich für die Rekordsumme von 21 Mio. Euro plus Boni zum VfB Stuttgart gewechselt ist. Finanziell ist das für den FCA eine große Hausnummer. Spielerisch verliert er mit Demi seinen Toptorschützen (15 Treffer und 10 Assists in der vergangenen Spielzeit). Menschlich seinen Kapitän und einen super Kerl, der mit seiner mitreißenden Art in nur zwei Saisons völlig zurecht die Herzen von Mitspielern und Fans erobert hat.

Was hat sich Jess Thorup einfallen lassen, um diese Lücke zu schließen und eine funktionierende Offensive zu formen?

Erwartungen an den „Wolf“

Noch bevor klar war, dass Demi tatsächlich zur schwäbischen Ligakonkurrenz wechselt, wurde Samuel Essende geholt. Der 26-Jährige Kongolese kommt vom portugiesischen FC Vizela, für den er in der vergangenen Saison 15 Treffer erzielt hat. Wie Demi für den FCA. Als typischer Neuner, der in den Testspielen schon mit seiner physischen Präsenz und seinen schnellen Läufen aufgefallen ist, kommt Essende aber eher für Dion Beljo. Der Kroate kam in den eineinhalb Jahren, in denen er für den FCA aufgelaufen war, nie über eine Jokerrolle hinaus. Daher ließ er sich nun für ein Jahr zu Rapid Wien ausleihen.

Essende, der mit Spitznamen auch „Wolf“ genannt wird, war auf keiner seiner bisherigen Stationen in Belgien und Frankreich so erfolgreich wie in Portugal. Daher sind die Erwartungen an ihn jetzt natürlich groß. Ob er sie erfüllen kann, wird auch davon abhängen, ob die Verbindung zwischen Mittelfeld und Vorderreihe gelingt und die Bälle dort ankommen. Beim Test gegen Olympique Marseille war davon leider noch nicht allzu viel zu sehen. Im Pokalspiel gegen Viktoria Berlin legte Arne Maier dagegen schön für seinen Vordermann auf. Auch auf das Zusammenspiel mit dem Sturmpartner wird es ankommen. Denn Thorup plant aller Voraussicht nach mit einer Doppelspitze bzw. mit einem Dreieck aus Sturm und 10:

„Wir versuchen im Moment, diese Relation wieder aufzubauen, wie letzte Saison mit Tietzi, mit Demi, mit Vargas. Wir versuchen hier wieder ein, sagen wir, Dreieck zu schaffen.“

Jess Thorup auf der Pressekonferenz vor Viktoria Berlin vom 16.08.2024

Konstant torgefährlich

Fester Sturmpartner von Essende könnte insofern Steve Mounié werden. Er kickte zuletzt vier Jahre bei Stade Brest in der französischen Ligue 1 und kam ablösefrei an den Lech. Der 29-Jährige hat neben Frankreich auch Erstligaerfahrung in England und kann mit durchschnittlich 7,6 Toren pro Saison (gerechnet auf die letzten acht Jahre) und regelmäßig einigen Vorlagen eine sehr solide Bilanz vorweisen.

Steve Mounié wirft sich auch in die Zweikämpfe. (Foto: Christian Kaspar-Bartke/Getty Images)

Das macht ihn jetzt nicht zum alleinigen Demi-Nachfolger. Denn schon in puncto Torquote und Marktwert (ca. 6 Mio. Euro) bleibt der beninische Nationalspieler hinter Demi zurück. Behält Mounié aber seine Konstanz bei Toren und Vorlagen auch im Augsburger Sturm bei, wäre er allemal eine wichtige Stütze im Offensivgefüge, die verlässlich ihre Leistung abspult und für die nötigen Treffer sorgt. Geht man nach den Testspielen, bilden Essende (rechts) und Mounié (links) als klassische Knipser die erste Garnitur. Im Pokalspiel musste Mounié wegen eines Infekts pausieren.  

Tietzi, der Römer

An Mouniés Stelle lief Phillip Tietz auf, die direkte Konkurrenz auf dieser Position und der letzte Verbliebene der Sturmformation der vergangenen Saison. Denn auch Sven Michel hat den FCA Richtung Paderborn verlassen, Irvin Cardona wurde diesmal zu Espanyol Barcelona ausgeliehen. Gegen Viktoria Berlin konnte Tietzi, der Ex-Darmstädter, nicht nur einen Pfostentreffer und einen feinen Assist für Elvis Rexhbecaj verbuchen. Er arbeitete auch energisch nach hinten mit und belohnte sich zum Schluss selbst mit einem Kopfballtreffer. Was seine letztjährige Bilanz angeht, liegt er mit Mounié in etwa gleich auf (8 Tore, 4 Assists). Der Trainer wird sich daher für denjenigen entscheiden, der besser in Form ist.

Tietz, der dieses Jahr in den Mannschaftsrat berufen worden ist, hat allerdings noch einen Vorzug: Er nimmt mit seiner Kämpfermentalität so ein bisschen die alte Rolle von Demi ein und peitscht seine Nebenleute immer und immer wieder nach vorne. Dass der stets gut gelaunte 27-Jährige auch eine gute Figur als Model abgibt, hat er nicht zuletzt bei der Präsentation des inzwischen schon legendären Römertrikots bewiesen, das in Berlin Pflichtspiel-Premiere feierte. Heieiei, ist das schick!

Unser vierter Stürmer?

Auf der PK vor dem Pokalspiel sagte FCA-Cheftrainer Thorup auch, dass drei neue Stürmer geholt worden seien, womit er neben Essende und Mounié zweifellos auch Yusuf Kabadayi meinte. Der 20-Jährige, der in der Bayern-Jugend ausgebildet wurde, war bei deren Zweitbesetzung fast ausschließlich auf dem linken Flügel aktiv. Auf Schalke, wohin er letzte Saison verliehen war, wurde er in der Offensive flexibel auf allen Positionen eingesetzt – vom rechten Mittelfeld bis zur Sturmspitze.

Auch im Pokalspiel kam Yusuf Kabadayi wieder zu Einsatzminuten. Ab der 66. Minute ersetzte er Samuel Essende. (Foto: FC Augsburg)

Hier sieht Thorup Kabadayi aktuell wohl auch, als Backup für Essende und als Nr. 4 in der Stürmer-Rangordnung. Obwohl er noch den Status eines Offensiv-Talents innehat, dürfte er zumindest in der zweiten Spielhälfte dennoch regelmäßig zum Einsatz kommen und das Spiel, einmal in die Breite gezogen, nach wie vor auch von den Flügeln gefährlich machen.

Kein Dreieck ohne 10er

Wie Andy im Kadercheck Mittelfeld schon analysiert und unser Cheftrainer selbst gesagt hat: Hinter den beiden Spitzen soll ein flexibler 10er positioniert werden, der einerseits selbst Zug zum Tor entwickelt, andererseits seine Vorderleute mit Pässen in die Tiefe versorgt. Jüngst scheint hier Ruben Vargas wieder zur Verfügung zu stehen, sollte er den FCA doch nicht verlassen. Thorup betonte aber, noch „drei, vier weitere Möglichkeiten“ zu haben, wie „Kömür, Engels, Maier, Okugawa oder Mbuku“. Nathanel Mbuku wird allerdings wahrscheinlich noch abgegeben. Somit hat Arne Engels beim Kampf um diese Position aktuell die Nase vorn.

Auch wenn der FCA-Sturm bis auf Phillip Tietz einmal komplett umgekrempelt wurde, scheint der Umbau soweit auch abgeschlossen zu sein. Spannend könnte es aber nochmal auf der 10 werden, sollte für Vargas doch noch ein Angebot eingehen und sich alle Seiten auf einen Transfer einigen. Denn bei einem Weggang wäre womöglich nochmals gleichwertige Verstärkung nötig. Wie stark der Schweizer diese Rolle in der Raute interpretiert und wie groß daher der Verlust wäre, hat man gerade auch wieder im Pokal sehen können. Da lief Vargas nochmal für den FCA auf.

Thorups Lieblinge?

Nicht einmal drei Wochen ist es her, seit Jess Thorup die Nachfolge von Enrico Maaßen als Trainer beim FC Augsburg angetreten hat. Trotzdem hat sich in der Zeit schon etwas getan. Vor allem Positives. In den beiden Spielen unter dem neuen Chef-Coach hat der FCA acht Tore erzielt, zwei Rückstände gedreht und sechs Punkte eingesammelt. Über so viel Action, die am Ende auch noch von Erfolg gekrönt ist, durfte man als FCA-Fan schon lange nicht mehr jubeln. What a feeling!

Auch beim Personal gab es mittlerweile Veränderungen. Die aber nicht ganz so ins Auge stechen wie die Tatsache, dass unser Verein nach wochenlanger Durststrecke plötzlich wieder gewinnt. Thorup hat an der Aufstellung gebastelt. Akteuren sein Vertrauen geschenkt, von denen man es nicht unbedingt erwartet hat. Und Stammplatzgarantien aus früheren Tagen bekräftigt bzw. ins Wackeln gebracht. Welche Spieler profitieren individuell vom Trainerwechsel? Das haben wir uns angeschaut.   

Feinfuß Jensen

Auf dem Platz ist er ein Tausendsassa und neben dem Platz immer für einen Spaß zu haben: Freddy Jensen stand in den beiden Matches unter Thorup jeweils überraschend in der Startelf und wurde mit seinen drei Vorlagen in Heidenheim völlig zurecht zu unserem Man of the Match gewählt. In 41 Spielen, die Vorgänger Enrico Maaßen leitete, startete der Finne, der seit 2018 Mitglied der FCA-Familie ist, lediglich acht Mal von Beginn an.

Sicherlich profitierte Jensen davon, dass Ruben Vargas, der seit Saisonbeginn verstärkt die Rechtsaußen-Position besetzt, verletzungsbedingt fehlte. Allerdings ist der Schweizer schon seit Längerem nicht mehr unersetzlich und Irvin Cardona hat als weitere Alternative derzeit Probleme, überhaupt ins Aufgebot zu kommen. Sofern die Gesundheit hält, was in der Vergangenheit leider nicht immer der Fall war, dürften wir künftig häufiger in den Genuss von Jensens feinen Qualitäten, u.a. technischer Art (die Ecken!), kommen. Ich hätte absolut nichts dagegen. 

Emotional und lautstark feierte Phillip Tietz seine ersten beiden Treffer für den FCA. (Foto: FC Augsburg auf Twitter/X)

Erste Tietz-Treffer

Mit Phillip Tietz, der für die neue Saison aus Darmstadt geholt worden war, hat Dion Beljo, selbst zur Winterpause an den Lech gekommen, auf der Mittelstürmerposition Konkurrenz bekommen. Zwar gibt es etwa mit Kapitän Ermedin Demirović und Sven Michel weitere Kollegen im Sturm. Doch letztlich konkurrieren Tietz und Beljo am härtesten untereinander um Einsatzminuten. Unter Maaßen war die Bilanz der beiden noch recht ausgeglichen, allerdings schon mit leichter Tendenz zu Tietz, der öfter beginnen durfte. (Was aus Zuschauersicht manchmal nicht ganz nachvollziehbar war, weil dem Blondschopf außer einem Assist bis dahin noch nicht viel gelungen war…)

Unter Thorup verfestigte sich diese Tendenz nun. Den wilden Fight auf dem Heidenheimer Schlossberg konnte der 21-jährige Kroate nur von der Bank aus verfolgen, während der 26-jährige gebürtige Braunschweiger seinen ersten Treffer für den FCA feiern durfte. Da der nächste prompt daheim gegen Wolfsburg folgte, sieht es so aus, als wäre bei der Tietz der Knoten geplatzt. Das dürfte seine Aktien beim Cheftrainer wohl weiter steigen lassen. Sehr gerne! Aber nur, wenn er noch ein wenig mehr an seinen Abschlüssen arbeitet…   

Dorsch mit Kredit

Arne Engels war DIE Entdeckung der abgelaufenen Rückrunde. Ohne Wenn und Aber. Ich will an diesen Satz vom Januar erinnern, als der damals 19-Jährige vom Farmclub des FC Brügge zum FCA stieß:

„Allerdings ist nicht zu erwarten, dass sich der ‚hochveranlagte Mittelfeldspieler‘, wie Stefan Reuter von ihm schwärmt, auf der Stelle zur Stammkraft im Mittelfeld aufschwingen wird.“

Auszug aus meinem Text für die RoGaz vom 09.01.2023
Siegtreffer zum 3:2 gegen den VfL Wolfsburg! Was für eine Aktion von Arne Engels. (Foto: FC Augsburg)

Doch genau das hat der mittlerweile 20-jährige getan. Sein Marktwert ist von 100.000 Euro, die der FCA mutmaßlich nach Belgien überwiesen hat, auf schwindelerregende 7,5 Mio. Euro gestiegen. Seine Beorderung ins zentrale Mittelfeld, das er meist zusammen mit dem defensiver eingestellten Elvis Rexhbecaj bespielte, hatte aber auch damit zu tun, dass die ursprünglich dafür vorgesehenen Kandidaten Niklas Dorsch und Arne Maier durch langwierige Verletzungen bzw. ein langanhaltendes Leistungstief dem Trainer nicht oder nicht voll zur Verfügung standen.

Dorsch, den Thorup noch aus seiner Zeit beim KKA Gent kennt, hat sich mittlerweile zurückgearbeitet und will seine Führungsansprüche, die er u.a. als neuer Vize-Kapitän angemeldet hat, nun einlösen. Der Däne lässt ihm auch die Chance dazu. Zuungunsten von Engels, der beim FCH und gegen die Wölfe nur als Ersatzspieler fungierte. Gegen den VW-Club machte dieser mit einem Assist und seiner ersten eigenen Bude innerhalb von nur zwei Minuten aber so dröhnend auf sich aufmerksam, dass Thorup auch in dem jungen Belgier durchaus einen potentiellen Startelfkandidaten sieht, wie er auf der Pressekonferenz vor Köln schmunzelnd eingestanden hat. Wie dieser Fight ausgeht? Bleibt abzuwarten. Allerdings bin ich, sorry Dorschi, zugegebermaßen ein kleines Engels-Fangirl…

Dahmen auf Bewährung

Als Jess Thorup vor seinem ersten Spiel mit dem FCA mitteilte, dass auch Finn Dahmen im Tor keine Startplatzgarantie erhält, war ich erst überrascht. Und dann nicht mehr ganz so. Schließlich wollte der Däne in den ersten Wochen alles auf den Prüfstand stellen. Und dazu gehört eben auch der 25-jährige Ex-Mainzer, der in den ersten sieben Partien (noch unter Maaßen) im Schnitt fast 2,5 Gegentore kassierte. Klar, nicht ohne Zutun unserer oft wackeligen Defensive. Trotzdem sehen viele in ihm noch nicht den Dirigenten, der er hinter der Abwehr sein müsste.  

Mads Pedersen ist nach dem 1:0 gegen Union sofort auf seinen Teamkollegen zugestürmt und hat ihm zum lang ersehnten Sieg gratuliert. (Photo: Christof Stache/AFP via Getty Images)

Thorup ließ ihm trotzdem den Vortritt, auch wenn er sich aktuell auf Bewährung befindet. Dadurch kann sich Tomáš Koubek Hoffnung auf mögliche weitere Einsätze machen. Im Frühjahr hatte Augsburgs Nr. 2 den verletzten Rafał Gikiewicz für sieben Spiele würdig vertreten und diese Zeit – vor allem den 1:0-Sieg gegen Union – extrem genossen. Koubek, dessen erste Zeit beim FCA bekanntlich ja gehörig in die Hose ging, ist bekannt als jemand, der jeden Tag hart arbeitet und Teamplayer durch und durch ist. Ganz egal, auf welchem Rang in der Torhüter-Hierarchie er gerade steht. Daher würde ich mich über ein paar Spielminuten, die ihm Thorup verschafft, sehr freuen.

Erfrischend gleich

Enorme personelle Umstellungen hat Jess Thorup in der Kürze der Zeit (noch) nicht vorgenommen. Und doch hat er Präferenzen aufblitzen lassen und in seiner Wunschaufstellung umgesetzt. Was unter dem neuen Mann beim FC Augsburg gerade passiert, finde ich extrem spannend und lässt mich mit Vorfreude auf die nächste Zeit blicken. Allein, dass der Coach für Samstag gegen Köln in Erwägung gezogen hat, seinem linksfüßigen Landsmann Freddy Winther mal wieder eine Chance zu geben und ihn auf die Position des gelb-rot gesperrten Felix Uduokhai zu stellen, ist erfrischend. Oder ob doch Japhet Tanganga zu seinem Debüt für den FCA kommt, obwohl er Rechtsfuß ist? Thorup wird es wissen. Ihm ist vieles zuzutrauen. Und das mag ich.   

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