Tobias Escher ist einer der bekanntesten Fußballanalysten. Mit „Vom Libero zur Doppelsechs“ hat er einen Bestseller geschrieben. Auf www.laptoptrainer.de und bei Spielverlagerung findet man regelmäßig Analysen von ihm. Nicht unlängst hat er die Vorreiterrolle des FC Augsburg in der defensiven Bundesliga unter die Lupe genommen. Nach dem überraschend positiven Saisonstart des FCA wollten wir von Tobias wissen, welche Gründe er für den Erfolg sieht.
Rosenau Gazette (RG): Der FC Augsburg ist eine der Überraschungsmannschaften bisher. Du hattest die Mannschaft vor der Saison deutlich schlechter eingeschätzt. Was hast Du vor der Saison erwartet und warum hattest Du die Mannschaft als Absteiger getippt?
Tobias Escher (TE): Augsburgs Kader wirkte auf mich aufgebläht, es war keine erste Elf erkennbar. Ich hatte mich auch noch an die Eindrücke der vergangenen Saison erinnert, als Manuel Baum mit seiner Taktik einige Male danebenlag, so zum Beispiel im Spiel gegen Ingolstadt. Die taktischen Anpassungen an den Gegner funktionieren aktuell aber viel besser, auch die defensive Kompaktheit hat sich erhöht. Die Liga ist allgemein sehr defensiv ausgerichtet. Das zweite Überraschungsteam der Liga, Hannover, speist sich ausschließlich aus der Defensive. Es ist also eine Mischung: Ich hatte nicht damit gerechnet, dass die Liga so defensiv geprägt ist, und noch weniger hatte ich damit gerechnet, dass Augsburg derart kompakt und variabel verteidigt.
RG: Nun steht der FC Augsburg in dieser Saison defensiv bisher sehr kompakt. Manuel Baum wurde immer wieder als offensiver Trainer beschrieben. Wie passt das für Dich zusammen und wie würdest Du die Veränderungen beschreiben, die man in dieser Saison beobachten kann?
TE: Die Spielanlage der Augsburger ist auf jeden Fall defensiver geworden. Gerade in der Anfangszeit hat Baum noch im Zweifel offensiv gedacht. Das hat sich in der Positionierung der Spieler ausgedrückt: Oft standen fünf oder sechs Spieler vor dem Ball. Nun sind gerade die Außenverteidiger defensiver. Baum scheint pragmatischer geworden zu sein.
RG: Von den gegnerischen Mannschaften wird der FC Augsburg als unangenehm zu spielen beschrieben. Liegt dies aus Deiner Sicht an der Strategie oder eher an der Intensität mit der die Mannschaft auftritt? Intensität wünscht sich wohl jeder Trainer gerne und versucht diese zu vermitteln. Das scheint mir allerdings etwas komplexer zu sein, als bei spielerischen Abläufen, die auf einer Tafel aufgemalt werden können.
TE: Teils, teils. Intensität ist natürlich auch vermittelbar – durch die Trainingsabläufe und die Übungen, in dem man immer wieder Zweikampfsituationen im Training schafft. Intensität aber hilft ja ohnehin nur weiter, wenn der taktische Plan die Intensität in die richtigen Bahnen lenkt, also wenn zur richtigen Zeit die richtigen Spieler angelaufen werden. Diese Kombination gelingt den Augsburgern ganz gut momentan.
RG: Im Spiel der Mannschaft kann man klare Variationen zum Beispiel bzgl. Pressingräumen (Angriffs- bzw. Mittelfeldpressing) oder im Spielaufbau wahrnehmen. Wie wertvoll siehst Du die Möglichkeit im Spiel entsprechende Anpassungen bzgl. der verwendeten taktischen Instrumente vornehmen zu können, die von der Mannschaft auch konsequent umgesetzt werden?
TE: Sehr wertvoll, gerade für einen Verein wie Augsburg. Den meisten Gegnern in der Liga ist man individuell unterlegen. Es muss das Ziel sein, den Gegner auf das eigene Niveau herunterzuziehen. Heißt: In Räume locken, in denen der Gegner schwach ist, dort Zweikämpfe erzwingen und umschalten. Genau das macht Augsburg ja, wobei sie hier – wie viele Bundesligisten aktuell – stark mit Mannorientierungen arbeiten.
RG: Manuel Baum wird in der Trainingsarbeit nachgesagt für Situationen mit eigenem Ballbesitz feste Spielzüge einzustudieren, die dann auf dem Platz von der Mannschaft automatisiert umgesetzt werden können. Glaubst Du an den Erfolg dieser Herangehensweise und konntest Du solche Spielzüge erkennen ?
TE: Teils, teils. Feste Spielzüge können einem Team weiterhelfen, wenn sie nicht zu statisch und nicht leicht zu entschlüsseln sind. Wenn man damit die individuelle Kreativität der Akteure erstickt, sehe ich darin wenig Nutzen – schließlich beraubt man sich damit dem Überraschungsmoment. Das sehe ich beim FCA aber nicht, auch weil Daniel Baier sehr viele unterschiedliche Pässe im Aufbau spielt und die Grundstruktur der Mannschaft sich von Spiel zu Spiel wandelt.
RG: Nun, nach 6 Spielen, würdest Du deine Prognose von vor der Saison korrigieren wollen und wie glaubst Du werden die anderen Mannschaften auf den FC Augsburg in Zukunft reagieren?
TE: Tabellenletzter war – im Nachhinein betrachtet – tatsächlich nicht meine beste Prognose. Augsburg scheint gefestigter zu sein, als ich erwartet habe. Ich glaube aber schon, dass sie etwas über ihren Verhältnissen gepunktet haben. Nach expected goals, einer Metrik, die Chancen anhand ihrer statistischen Torwahrscheinlichkeit misst, befindet sich Augsburg im Mittelfeld der Liga; auch bei den eigenen und gegnerischen Torschüssen. Das ist der Bereich, in dem ich Augsburg aktuell sehe.
Danke für Deine Zeit und die aufschlussreichen Antworten!