Präsident weg. Trainer weg. Nachfolger noch nicht gefunden. Kaderzusammenstellung unklar. Beim FC Augsburg kriselt es. Auch wegen vereinsinterner Machtkämpfe. Hauptprotagonist des „Kaschperletheaters“, wie es die aktive Fanszene nannte, ist Stefan Reuter. Wir wollen daher einen genaueren Blick auf die Arbeit des Geschäftsführers Sport werfen. In unserer Artikelreihe geht es nach dem vorherigen Kapitel „Trainer“ heute um Stefan Reuter und seine Transfers. Wo hat der Manager ein glückliches Händchen bewiesen? Wo lag er daneben? Und ist seine Arbeit nun insgesamt gut oder schlecht? Ein Annäherungsversuch.
Reuter-Transfers: 68 in 10 Jahren
Die nackten Zahlen: Stefan Reuter ist seit Dezember 2012 Manager des FC Augsburg. Seitdem hat der FCA 68 Spieler fest verpflichtet. Leihgeschäfte fließen nicht in die Statistik mit ein, ebenso wenig wie mit einem Profivertrag ausgestattete Jugendspieler. Dem gegenüber stehen 27 verkaufte Profis. 26 weitere verließen den Verein ablösefrei. Das schauen wir uns einmal detaillierter an.
Reuter-Transfers: Blick auf die Finanzen
Während Stefan Reuters Amtszeit, beginnend mit dem Transferfenster im Winter 2013 und endend mit der festen Verpflichtung Arne Maiers im Mai 2022 hat der FCA rund 140 Millionen Euro für Transfers ausgegeben. Um diese Zahlen in Relation zu setzen, soll der FCA mit Mainz 05 verglichen werden. Ein Verein mit ähnlichen Mitteln wie der FCA, der obendrein auch noch seit der Ära Reuter in der Bundesliga spielt. Beim FSV sind es in diesem Zeitraum 155 Millionen Euro. Einen Wert, den Borussia Dortmund alleine in den vergangenen drei Jahren erreicht.
Der FCA gehört zu den Vereinen in der Liga, die am wenigsten für Transfers ausgeben. Aufsteiger wie Greuther Fürth oder der FC Ingolstadt liegen freilich hinter den Schwaben. Doch unter denen Vereinen, die seit 2012 in der Bundesliga spielen, gibt der FCA am wenigsten Geld aus. Der Abstand zu Mainz wäre zudem größer, rechnet man die US-Millionen raus, die man im Winter für Ricardo Pepi bezahlt hat. Der 19-Jährige ist der mit Abstand teuerste Neuzugang unter Stefan Reuter. Der besseren Vergleichbarkeit halber beziehen wir uns auf Zahlen von transfermarkt.de.
Augsburger Rekord-Neuzugänge
Ricardo Pepi | 2022 vom FC Dallas | 16,4 Millionen Euro |
Martin Hinteregger | 2016 von RB Salzburg | 10,5 Millionen Euro |
Tomas Koubek | 2019 von Stade Rennes | 7,5 Millionen Euro |
Niklas Dorsch | 2021 von KAA Gent | 7 Millionen Euro |
Felix Uduokhai | 2020 vom VfL Wolfsburg | 7 Millionen Euro |
Den Ausgaben stehen Transfereinnahmen von rund 94 Millionen Euro zur Verfügung. Leihgebühren, wie sie etwa der FC Southampton für Kevin Danso gezahlt hat, fließen nicht in die Statistik mit ein. Auch hier wieder der Vergleich mit Mainz: Die Nullfünfer haben im selben Zeitraum rund 225 Millionen Euro durch Spielerverkäufe erzielt. Während Mainz bei den Transferausgaben noch vergleichsweise nah am FCA liegt, sind die Transfererlöse 2,5-mal so groß. Das liegt daran, dass der FSV immer wieder Spieler für sehr viel Geld verkauft hat, etwa Abdou Diallo (für 28 Mio Euro zu Dortmund), Jean-Philippe Gbamin (für 25 Mio Euro zu Everton) oder Jhon Cordoba (für 17 Mio Euro zu Köln). Ein Transfer dieser Größenordnung ist Stefan Reuter nur einmal gelungen, wie der Blick auf die Augsburger Rekord-Abgänge zeigt.
Augsburger Rekord-Abgänge
Abdul Rahman Baba | 2015 zum FC Chelsea | 26 Millionen Euro |
Martin Hinteregger | 2019 zu Eintracht Frankfurt | 9 Millionen Euro |
Philipp Max | 2020 zur PSV Eindhoven | 8 Millionen Euro |
Marco Richter | 2021 zu Hertha BSC | 7 Millionen Euro |
Jeong-ho Hong | 2016 zu Jiangsu FC | 6 Millionen Euro |
So weit zu den reinen Fakten. Der FC Augsburg kann mittlerweile Transfers der Marke Ricardo Pepi stemmen und investiert deutlich mehr in Spieler als Zweitligaaufsteiger wie Greuther Fürth oder der VfL Bochum. Die Franken haben 1,4 Millionen Euro ausgegeben, der VfL keinen einzigen Cent. Union Berlin machte nach dem Bundesligaaufstieg übrigens 18 Millionen Euro locker. Im Vergleich mit Mainz fällt auf, dass der FCA im Ligavergleich mithalten kann, allerdings deutlich weniger durch Transfereinnahmen einnimmt. Wie ist das zu bewerten? Hat Stefan Reuter hier schlecht verhandelt? Schauen wir uns ein paar Transfers genauer an. Entscheidend ist hier unter anderem die Vertragssituation des Spielers, sein zum Verkaufszeitpunkt geschätzter Marktwert und die Summe, die der FCA zuvor bezahlt hat. Wir beginnen mit den positiven Aspekten.
Hier hat Reuter gut gewirtschaftet
- Abdul Rahman Baba: Reuters Königstransfer. 2014 von Zweitligist Fürth für kolportierte 2,5 Millionen Euro geholt. Damaliger Marktwert: 1,5 Millionen Euro. Nach einer bärenstarken Saison für 26 Millionen Euro an den FC Chelsea verkauft. Damaliger Marktwert: 10 Millionen Euro. Spieler zum sportlichen Höhepunkt verkauft, Baba konnte nirgendwo an die Saison 2014/15 anknüpfen, zuletzt in die zweite englische Liga verliehen.
- Jeong Ho-Hong: 2013 für 2 Millionen Euro aus Südkorea geholt. Damaliger Marktwert: 750 Tausend Euro. Nach drei soliden, keineswegs aber überragenden Jahren für 6 Millionen Euro in die damals mit Geld um sich werfende chinesische Liga verkauft. Damaliger Marktwert: 2 Millionen Euro. Spieler zum richtigen Zeitpunkt verkauft, mehr hätte man zumal bei einem Jahr Restvertrag nicht für den Südkoreaner bekommen.
- Kevin Danso: Augsburger Eigengewächs. Hätte Reuter gerne langfristig beim FCA gesehen. Stellte sich bei Wechselwünschen des Youngsters quer. Durch eine Leihe an den FC Southampton und zu Fortuna Düsseldorf konnten 4 Millionen beziehungsweise 500.000 Euro generiert werden. Damaliger Marktwert: 8 beziehungsweise 6,3 Millionen Euro. Nach Unstimmigkeiten und abgelehntem Wechselwunsch 2020 für 5,5 Millionen Euro nach Lens verkauft. Damaliger Marktwert: 5 Millionen Euro. Rechnet man die Leihgebüren mit ein, ein aus finanzieller Sicht insgesamt guter Transfer. Als Nachwuchsprofi keine Ablöse für den FCA gekostet. Insgesamt wäre aber auch wohl ein Verkauf zu einem sportlich und damit finanziell besseren Zeitpunkt möglich gewesen.
Hier war für Reuter mehr drin
Der Danso-Transfers lässt bereits ein gewisses Gefühl bei FCA-Transfers erahnen. Wäre bei klugerer Verhandlungsweise nicht vielleicht etwas mehr drin gewesen? Hätte man den Spieler womöglich schon früher verkaufen können? Auch hierfür gibt es in der Ära Reuter einige Beispiele. Etwa Marco Richter, den Reuter für 7 Millionen Euro verkauft hat, der bei Markthöchstwert von 10 Millionen Euro aber wohl auch teurer verkauft hätte werden können. Oder Konstantinos Stafylidis, den Reuter nicht nach Hamburg ziehen lassen wollte. Oder aus dem aktuellen Kader Ruben Vargas, dessen Marktwert laut transfermarkt.de zuletzt von 13 auf 9 Millionen Euro gefallen ist.
Prominentestes Beispiel ist aber Philipp Max. Grundsätzlich ein starker Reuter-Transfer. Für 3,8 Millionen Euro aus der Zweiten Liga geholt, zum Stammspieler geformt, bei zwei Jahren Restvertrag gewinnbringend für 8 Millionen Euro verkauft. Das große Aber: Damaliger Marktwert: 15 Millionen Euro. Max´ höchste Martkwerteinstufung liegt sogar bei 20 Millionen Euro. Der Linksverteidiger war Bundesligastammspieler, Olympiateilnehmer, Nationalmannschaftskandidat – und überlebenswichtig für den FCA. Hier hat sich Reuter gegen das größte Transferplus entschieden, oder lapidar gesagt: verzockt. Das trifft auch auf einige ablösefreie Transfers zu.
Ablösefreie FCA-Abgänge
Rani Khedira | 2021 zu Union Berlin | Damaliger MW: 5 Mio. Euro |
Marwin Hitz | 2018 zu Dortmund | Damaliger MW: 4 Mio. Euro |
Ja-Cheol Koo | 2019 zu Al-Gharafa | Damaliger MW: 3,5 Mio. Euro |
Konstantinos Stafylidis | 2019 zu Hoffenheim | Damaliger MW: 3 Mio. Euro |
Dong-Won Ji | 2019 zu Mainz | Damaliger MW: 1,75 Mio. Euro |
Hitz und Khedira waren zuvor bereits ablösefrei an den Lech gewechselt – wie viele andere namhafte Spieler in der FCA-Geschichte. weswegen durch die Wechsel zumindest kein finanzielles Loch im FCA-Gerüst entstand. Für Koo hat der FCA jedoch 5, für Stafylidis 2,5 Millionen Euro bezahlt. Diese Summe schien zum Verkaufspunkt angemessen. Und diese Spieler haben mit Abstrichen auch gut in Augsburg funktioniert. Wie aber sieht das im Großen und Ganzen aus? Bringen Reuters Transfers Leistung? Eine Einschätzung zu des Sportdirektors besten, aber auch schlechtesten Transfers. Hier geht es nicht nur um die Transfersumme, sondern auch darum, wie sich der Spieler beim FCA entwickelt hat. Wir beginnen mit dem Positiven und nehmen in diese Kategorie auch ablösefreie Wechsel mit auf.
Reuters Toptransfers
- André Hahn: Reuters erster Transfer im Januar 2013. Kam für 250 Tausend Euro aus der dritten Liga. Voll eingeschlagen beim FCA. Nach einer Saison mit 10 Toren Nationalspieler. Für im Nachhinein zu niedrig erscheinende 2,25 Millionen nach Gladbach verkauft, später für 3 Millionen von Hamburg zurückgeholt. Führungsspieler und Identifikationsfigur.
- Raul Bobadilla: Für 1,5 Millionen Euro aus Basel geholt, später für 2 Millionen Euro nach Gladbach verkauft. Machte in 105 Spielen 29 Tore und 10 Vorlagen.
- Abdul Rahman Baba: Vor allem aufgrund des satten Transferplus in dieser Liste.
- Marwin Hitz: Ablösefrei aus Wolfsburg geholt. Über Jahre hinweg ein starker Rückhalt im Tor. Machte 157 Spiele für Rot-Grün-Weiß.
- Halil Altintop: Reuters nächster Null-Euro-Coup. Kam ablösefrei aus Trabzonspor. Machte 128 Spiele, 22 Tore, 14 Vorlagen.
- Alfred Finnbogason: Nach Leihe die Initiative zum festen Kauf ergriffen. Für 4 Millionen Euro bei damaligem Marktwert von 5 Mio verpflichtet. 39 Tore für Augsburg.
- Reece Oxford: Nach Katastrophen-Leihe für 2 Millionen Euro von West Ham fest verpflichtet. Bereits abgeschrieben, nun unverzichtbar.
- Ruben Vargas: Junger Spieler mit Potential, EM-Teilnehmer. Für 4 Millionen Euro aus Luzern gekommen. Sollte der Schweizer den FCA verlassen, wohl Transferplus.
- Arne Maier & Niklas Dorsch: Reuters aktuellstes Kunststück. Dass das zentrale Mittelfeld des U21-Europameisters beim FCA unter Vertrag steht, ist ein dickes Pfund.
Nun zu den Transfers, die nicht ganz so gut eingeschlagen sind
Reuters Floptransfers
- Tim Matavz: 2014 für 4 Millionen Euro aus Eindhoven gekommen. Damaliger Augsburger Rekordtransfer. Hat nie beim FCA funktioniert. In 34 Spielen drei Tore und zwei Vorlagen. Nach zwei enttäuschenden Leihen nach Genua und Nürnberg zurück in die Eredivisie. Großes Minusgeschäft.
- Daniel Opare: Rechtsverteiger, der Paul Verhaegh beerben sollte. Idee krachend gescheitert. Fehler auf und neben dem Platz. 2015 ablösefrei aus Porto gekommen, drei Jahre später ablösefrei nach Antwerpen gewechselt.
- Takashi Usami: 2016 für 1,5 Millionen Euro aus Japan geholt. Wollte zuvor beim FC Bayern zum Weltfußballer reifen. Dieses Ziel wird er auch wegen 11 enttäuschenden FCA-Spielen nicht erreichen.
- Marwin Friedrich: Für vergleichsweise wenig Geld in jungen Jahren vom FC Schalke geholt. Hatte nie eine Chance in Augsburg. Wechselte nach starken Saisons bei Union Berlin zu Mönchengladbach. Hier hat der FCA gepennt, was grundsätzlich nicht (nur) Reuter anzulasten ist.
- Fabian Giefer: Sollte 2017 Augsburgs neuer Stammkeeper werden. Kam mit der Empfehlung von mickrigen 14 Spielen in drei Jahren. War beim englischen Zweitligisten Bristol City kein Startelfkandidat. Ruinierte sich mit den 4 abenteuerlichen FCA-Spielen die eigene Karriere. Derzeit vereinslos.
- Tomas Koubek: Der nächste Keeper in dieser Liste. Kam 2019 für 7,5 Millionen Euro aus Rennes. Überzeugte nicht, musste für Andreas Luthe weichen. Insgesamt 25 Spiele für Rot-Grün-Weiß. Seit Rafal Gikiewicz da ist, kein Einsatz.
Stefan Reuter hat insgesamt mehrfach ein glückliches Händchen bei Transfers bewiesen, lag gleichzeitig aber auch öfter falsch mit seiner Einschätzung. Ein Wundermanager oder „Don Reuter“, wie den 55-Jährigen im Sommer noch einige Internetfans feierten und als welchen der FCA seinen Geschäftsführer Sport selbst auf Social Media bezeichnete, ist Stefan Reuter insgesamt nicht. Ein untragbarer Katastrophenfunktionär allerdings auch nicht.