Unser Capitano

Donnerstag der 23.07.2020 und eine Ära geht zu Ende. Daniel Baier hat seinen Vertrag mit dem FC Augsburg einvernehmlich aufgelöst und wird in der kommenden Saison doch nicht mehr für den Verein in der Bundesliga auflaufen, für den er 11,5 Jahre seine Knochen hingehalten hat. 11,5 Jahre sind eine lange Zeit. Im Profifußball quasi eine Unendlichkeit. Es wurde zwar ein Abschiedsspiel vereinbart, aber der Abschied im Rahmen eines regulären Bundesligaspiels vor heimischen Publikum bleibt Daniel Baier verwehrt.

Ich habe mir nach dieser Nachricht einige Tage Zeit genommen, um diesen Abschied für mich einzuordnen. Wir haben hier im Blog den Abschied ad hoc kommentiert, weil die Vertragsauflösung kein gutes Licht auf den FCA werfen kann. Nicht wenn man den Vertrag erst im Januar verlängert hat und wenn es bei der Person um den verdientesten Spieler des FC Augsburg geht. Wenn man mit dem Spieler Stillschweigen zu Internas vereinbart und die Gerüchte über Daniel Baiers Widerstand gegen einen Gehaltsverzicht in Zeiten von Corona trotzdem mehrfach den Weg in die Öffentlichkeit finden (schämt euch ihr elendigen Plaudertaschen).

Für mich ist Daniel Baiers Abschied aber vor allem ein emotionaler Vorgang. Ein besseres Wort als Schock fällt mir nicht ein. Wie soll man es sonst nennen, wenn man ein Instagram-Video durchhält bis zu den Worten „Euer Capitano“ und einem an der Stelle immer wieder die Tränen kommen. Und ich wollte einige persönliche Worte dazu finden. So viele wie eben nötig.

Ich möchte schimpfen und argumentieren. Aber es nützt nichts. So oft habe ich Daniel Baier in Frankfurt spielen sehen. Es kommt kein weiteres Mal für den FCA dazu. Immer hat er gekämpft und alles gegeben. (Photo by Christof Koepsel/Bongarts/Getty Images)

Ich bin in den letzten 11,5 Jahren zweimal umgezogen, habe meine Frau geheiratet und bin Vater von zwei gesunden Töchtern geworden. In all der Zeit gab es immer eine Konstante: meine Liebe zum FCA und Daniel Baier in rot-grün-weiß. Nun ist er weg. Und ich fühle mich leer.

Muss man dabei über das Sportliche überhaupt noch etwas sagen? Daniel Baier zählt die Stationen in seinem Dankesvideo (ja, das mich immer wieder zum heulen bringt) kurz auf. Aufstieg, Klassenerhalte, Europa, Klassenerhalte. Über 350 massive Pflichtspiele. Nach Verhaeghs Abschied die Übernahme des Kapitänsamts. Das Spiel auf dem Platz hat er vorher schon gelenkt. Er war über Jahre unser bester Spieler. Ich habe bei Twitter die Frage in den Raum geworfen, ob es in den letzten 10 Jahren einen ähnlich konstanten 6er in der Bundesliga gab. Ich habe keine Antwort erhalten, die dies nahelegte. Ohne es nachzuschauen, würde ich wetten, dass kein Spieler in diesem Zeitraum so viele Bälle abgefangen hat wie er. Daniel Baier wurde – aus meiner Sicht – um die WM 2014 beschissen und hätte Nationalspieler und Weltmeister werden sollen. Er ist – auch zu seinen sportlich besten Zeiten – immer in Augsburg geblieben. Mit Sicherheit nicht, weil es keine anderen Angebote gegeben hätte.

November 14, 2008 in München: Daniel Baier noch mit der Trikotnummer 7 trifft zum ersten Mal für den FCA. Ich war im Stadion und vielleicht war es auch einfach sein bestes Tor. (Photo by Thomas Langer/Bongarts/Getty Images)

Baier ist dabei jemand, der in Augsburg nicht nur zu Gast ist. Er ist jemand, den in Augsburg jeder zu kennen scheint. Früher als Feier-Baier abends unterwegs, später im Café oder beim Einkaufen, hat man Baier auch gerne in der Stadt getroffen. Baier hat sich nie versteckt und war immer einer von uns. Das liegt auch daran, dass er ein Profi mit Ecken und Kanten war, der auch mal unbequeme Wahrheiten ausgesprochen hat. In der Saison vor der Europa League hat er den Zuschauerzuspruch in einer englischen Woche im Winter kritisiert. Ich fand die Aussage in der Sache falsch, aber es brauchte Mumm es zu sagen. Im platzte auch mal der Kragen. Fragt Hasenhüttl. Passiert jedem von uns und machte ihn nur noch sympathischer. Beim Familientag hat er dafür Kollegen auch mal dazu angehalten ein extra Autogramm zu schreiben.

Warum will man mit 36 Jahren überhaupt noch in der ersten Bundesliga seine Gesundheit aufs Spiel setzen? Wahrscheinlich nicht, weil man das Geld braucht. Ich glaube Daniel Baier hat davon geträumt, mit einem Erfolg seine Karriere zu beenden. Im Pokal noch einmal weit zu kommen. Oben zu schnuppern an den Europa League Plätzen. Als Team zu zeigen, dass der FCA es noch kann. Kann er es noch? Oh, wie sehr wollte ich das als Fan nochmal sehen. Wir werden es herausfinden. Die letzten beiden Jahre waren verloren. Wir sind als Club auf der Stelle getreten und haben uns dabei noch die Füße angeschlagen. Es ärgert mich sehr, dass Daniel Baier seinen Abschied nicht nach einem guten Jahr feiern kann.

Ob wir noch jemals eine solche Saison erleben werden wie 2015/16? Es wird für immer das erste Jahr europäischer Fußball für den FC Augsburg bleiben. Natürlich mit Daniel Baier. (Photo by Johannes Simon/Bongarts/Getty Images)

Gute Jahre kommen hoffentlich wieder. Aber nicht mit Daniel Baier. Die Angst, die ich als Fan habe, ist ganz einfach. Ich fürchte, dass der Traum zu Ende ist. Auch, weil jemand wie Daniel Baier fehlt. Weil man sich nicht mehr so sehr mit der 11 auf dem Rasen identifiziert. Mit Daniel Baier hat man mit gelitten und sich mit gefreut. Genau wie mit Mölders, Werner und Hitz. Ich habe mich mit diesen Spielern identifiziert, weil sie sich mit dem Club identifiziert haben. Und insgesamt waren es wohl die besten Jahre, um Fan des FC Augsburg zu sein. Wir mögen sportlich relevant bleiben. Aber wird es jemals wieder so geil?

Daniel Baier selbst vergönne ich dann bald, dass er auf unsere Seite wechselt. Es bleibt eine meiner Lieblingsgeschichten als er in 2012 als Fan zur EM gefahren ist und mit Bastian Schweinsteiger das Trikot getauscht hat. Wer hat nicht schon einmal davon geträumt, dass Baier selbst nach einem Spiel auf die Tribüne schaut, einen sieht, sein Trikot hochwirft und fragt: „War geil heute, oder?“ und man antwortet: „Ja, war geil heute. Du bist der Größte.“ Ja, Daniel Baier – unser Capitano – du bist der Größte. Niemand kann Dir mehr nehmen, was Du in Augsburg geschaffen hast. Irgendwann benennen wir hoffentlich eine Tribüne nach Dir.

Und wenn in Augsburg die Mannschaften auf dem Weg in Richtung Rasen sind, dann wird an der Spitze dein o-beiniger Gang fehlen. Es wird fehlen, dass Du dem Schiedsrichter oder Gegenspieler in einer Unterbrechung den Arm um die Schultern legst und ihm ein paar nette Worte sagst. Deine Diskutiererei wird manchmal auch fehlen (aber nur manchmal). Und es wird fehlen, welchen Einfluss Du auf gegnerische Teams hattest. Deren Fans in den sozialen Medien sind alle heilfroh, dass ihre Teams nicht mehr gegen dich spielen müssen.

Das Foto entstand am 30. Juli 2011 im Niederrhein Stadion in Oberhausen. Ich habe mir beim Jubeln die Hose am Zaun zerrissen. Gerne möchte ich dich nach all den Jahren genau so umarmen wie Paul Verhaegh damals. (Photo by Friedemann Vogel/Bongarts/Getty Images)

Es war klar, dass wir uns zeitnah von Dir, Daniel Baier dem aktiven Bundesliga-Kicker, verabschieden hätten müssen. Wie lange wäre es ohne die Vertragsauflösung noch weiter gegangen? Das eine Jahr? Wahrscheinlich. Aber im Gegensatz zu den letzten Tagen hätten wir als Fans uns auf diesen Moment vorbereiten können. So durchleiden wir weiter diesen Schock. Aber es wird die Zeit kommen, da werden wir mit viel Stolz auf diese tolle Zeit zurück blicken und uns an den gemeinsamen Erinnerungen erfreuen. Denn diese gemeinsamen Erinnerungen, die kann dieser räudige Abschied uns nicht kaputt machen. Danke Dir Daniel Baier für diese vielen tollen gemeinsamen Erinnerungen. Ich habe vor kurzem meiner sechsjährigen Tochter vor dem Schlafengehen von Dir erzählt. Mach Dir keine Sorge, die Erinnerungen und deine Legende werden uns beide überleben.

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