Das Trainingslager des FC Augsburg neigt sich dem Ende entgegen. Bevor es wieder gen schwäbische Heimat geht, wollte der FCA gegen den katarischen Erstligisten Al-Duhail testen. Kurzfristig cancelte der Verein die Partie und spielt stattdessen gegen Schalke 04. „Wir waren uns der Sensibilität eines Testspiels gegen einen katarischen Verein bewusst“, sagte Manager Stefan Reuter. Gut so. Tatsächlich warf die Partie nicht nur wegen ihrer sportlichen Bedeutungslosigkeit Fragen auf.
„Igoranz und Doppelmoral“ – UBT kritisiert FCA
Die Ulrich-Biesinger-Tribüne, der Zusammenschluss der Augsburger Fanszene, war empört. In einer aktuellen Stellungnahme war von „Ignoranz, mindestens jedoch Gleichgültigkeit“ des FCA die Rede. Die klare Aufforderung: „Ein Verein, der derart gegensätzlich zu den Werten unseres FCA steht, stellt keinen geeigneten Gegner dar, um sich in Freundschaft zu testen.“ Der irrelevante Kick unter dem Alpenpanorama solle nicht überdramatisiert werden – eine gewisse Doppelmoral aufgrund des vom Verein ausgerufenen Tags der Vielfalt (Test gegen Rennes) wurde dennoch attestiert.
Während wir am 23.07 Vielfalt und Toleranz als Teil unserer Vereinsidentität zelebrieren wollen, findet nur wenige Tage zuvor ein freiwillig organisiertes Testspiel gegen einen Verein statt, der für ein System steht, dass maximal konträr zu eben diesen Werten ist.
Ulrich-Biesinger-Tribüne
Deutliche Worte, die einige Fragen aufwerfen: Verschafft der FC Augsburg dem „System Katar“ ein Stück weit Legitimation wenn er gegen einen katarischen Erstligisten spielt? Und wo zieht man dann die Grenze? Ist die Kritik am Verein gerechtfertigt? Fragen, die man nun nicht mehr vollends zu Ende denken muss.
Die Rosenau-Gazette begrüßt die Entscheidung des Vereins. Das Spiel war vor allem aufgrund des Mangels an Alternativen im Terminkalender gelandet. Und, nicht unwichtig: Nach RoGaz-Informationen ist der Verein keinerlei Verträge eingegangen. Der FCA unterstützte Al-Duhail also nicht finanziell.
Rettig: Katar-WM ist eine Schande
Das Thema scheint damit beendet. Wir wollen die Gelegenheit aber nutzen, um die aktuelle Situation in Katar zu skizzieren. Wir starten mit Worten von Ex-FCA-Manager Andreas Rettig. Der gebürtige Leverkusener, der dem FCA noch sehr verbunden ist, kritisiert Katar deutlich. Im Gespräch mit der Rosenau Gazette bezeichnet Rettig die WM-Vergabe nach Katar als Skandal.
2010 vergab die Fifa die Sommer-WMs 2018 und 2022 gleichzeitig. Katar setzte sich im entscheidenden Wahlgang mit 14:8 gegen die USA durch. „Erst Jahre später stellte man fest, dass es zu dieser Jahreszeit ziemlich heiß in dieser Region wird. Nun wurde flugs der komplette weltweite Spielplan angepasst, damit wir pünktlich zur Winterzeit beim Glühwein die Spiele verfolgen können.“ Die WM geht vom 21. November bis 18. Dezember.
„Wer trifft eine solche aberwitzige Entscheidung und warum?“, fragt Rettig, um die Antwort gleich selbst zu liefern. Die damaligen Mitglieder des Fifa-Exekutivkomitees – ein über weite Teilen korruptes Schurkenkabinett um Franz Beckenbauer und Sepp Blatter. „Ein Drittel der damals stimmberechtigten Mitglieder sitzen oder saßen im Gefängnis.“ Mittlerweile entscheiden alle 211 Fifa-Mitgliedsländer über den WM-Gastgeber. „Zum Glück“, wie Rettig sagt.
„Es ist nur verständlich, dass der Fan diese ausschließlich sportpolitisch und wirtschaftlich motivierten Spiele ablehnt“, meint Rettig. „Warten wir mal ab, was der Fifa als nächstes einfällt: Spiele auf dem Mond für Milliardäre? Ausschließen kann man in diesen Tagen nichts. Nehmen wir es mit Humor und hoffen auf ein PR- und Quoten-Desaster.“
Amnesty erkennt Rückschritte bei Menschenrechten
Auf Katar ist derzeit ein Scheinwerferlicht gerichtet. Rund 125 Tage vor Start der WM sind die Menschenrechtsverletzungen am Golf aktueller denn je. Amnesty International attestierte dem Emirat in einem aktuellen Lagebericht Rückschritte bei der Umsetzung von Menschenrechten. Reformen gebe es zwar vereinzelt (etwa die Einführung eines Mindestlohns oder lockerere Ausreisemöglichkeiten für Gastarbeiter) – diese würden aber nur schleppend umgesetzt werden. Echte Verbesserungen ließen auf sich warten. Das in der Vergangenheit mit „moderner Sklaverei“ verglichene Kafala-Sytsem sei nur auf dem Papier abgeschafft.
- Das Kafala-System: Ein System der Bürgschaft, das es auch in anderen Golfstaaten gibt. Arbeitnehmer brauchen einen Arbeitgeber, der für sie bürgt. De facto entsteht eine große Abhängigkeit, weil der Arbeitgeber eine Vielzahl an Rechten und Bestimmungen über den Arbeitnehmer besitzt. Amnesty schreibt von einem Machtungleichgewicht.
Katar hat rund 2,8 Millionen Einwohner, mehr als 2 Millionen davon sind Gastarbeiter. Die meisten kommen aus Indien, Pakistan, Bangladesch oder Nepal. Sie sind für Glanz und Glamour des Wüstenemirats verantwortlich, haben die unzähligen Hochhäuser und Wolkenkratzer aus dem Sand gestampft. Anerkennung bekommen sie dafür kaum. Katar ist nach kaufkraftbereinigtem Bruttoinlandsprodukt pro Kopf das viertreichste Land der Welt. Der Reichtum gebührt jedoch fast nur den Kataris selbst.
Zur Wahrheit gehört auch: Den Gastarbeitern geht es finanziell teils besser als in ihrer Heimat. Die Menschenrechtslage in Katar ist (wohl auch durch die WM) besser als in anderen Golfregionen. Vorteile gegenüber Saudi-Arbabien oder Bahrain hat das kleine Emirat zudem im Bereich der Pressefreiheit. Dort liegt es im Ranking von Reporter ohne Grenzen auf Rang 119. Keine Topplatzierung. Nur weil die Situation bei den Nachbarn prekärer ist, ist Katar noch lange kein Vorzeigestaat. Als solcher will sich die katarische Herrscherfamilie al Thani jedoch gerne gerieren.
Katar: Vision 2030 und Sportswashing
Die WM 2022 ist Teil der „Vision 2030“, die Katar als Marke etablieren und das Land in ein positives Licht rücken soll. Dazu zählt auch das Ausrichten von Sportveranstaltungen oder Investitionen in Vereine. In den vergangenen zwölf Jahren fanden mehr als 500 Sportveranstaltungen in Katar statt. Von Fußballspielen bis hin zu Schachturnieren oder Leichtatletik- bzw. Handball-Weltmeisterschaften. Katar investiert in mehrere europäische Spitzenklubs, darunter FC Barcelona, AS Rom, FC Bayern und vor allem Paris Saint-Germain.
Wenn es um Katar geht, ist sehr oft vom „Sportswashing“ die Rede. Darunter versteht man das Ziel von (meist autoritär regierten) Staaten, das eigene Image durch den Sport aufzupolieren. Mit dem Austragen von Sportveranstaltungen wie Formel-1-Rennen oder dem Investieren in Vereine, siehe auch Manchester City oder Newcastle United.
Im Falle Katars wird beim Sportswashing oft nur der monetäre Aspekt beleuchtet. Es steht außer Frage, dass das Emirat finanziell von PSG profitiert. Die Investitionen haben aber noch einen anderen Grund: Katar will sich einen Schutzpanzer gegenüber den Golfnachbarn zulegen. Das aufgrund der Bodenschätze extrem reiche Land, das Gewinne durch PSG-Erfolge eigentlich nicht nötig hat, sorgt sich vor den militärisch stärkeren Nachbarn Iran, Irak und Saudi-Arabien. Spätestens seit dem Einmarsch Iraks in Kuwait 1990, der in den Zweiten Golfkrieg mündete. Katar hat weniger Einwohner als Berlin und zwangsläufig weniger Militärstärke als etwa Saudi-Arabien. Das ist keine Rechtfertigung für Katars Einmischen in den europäischen Fußball, allerdings wichtig, um die katarische Strategie besser zu verstehen: Der Wüstenstaat verfolgt also primär zwei Ziele: Imagepflege und eine Nähe zum Westen. Beides gelingt Katar, das vor wenigen Jahrzehnten ziemlich unbedeutend war, gar nicht so schlecht.
Wie die Politik Katar hofiert
Blicken wir auf die Politik und Wirtschaft: Hier hat es Katar geschafft, lukrative Geschäftsbeziehungen zu westlichen Unternehmen aufzubauen. Deutsche Firmen wie die Deutsche Bahn oder die Baufirma Hochtief sind an der immer wachsenden Infrastruktur Katars beteiligt. Etliche andere Firmen wie Volkswagen oder Siemens steigern mithilfe der katarischen Finanzkraft ihre Profite. Über Jahre hat sich Katar zu einem geopolitisch unverzichtbaren Akteur gehievt. Der Wirtschaftsminister tütete jüngst einen Deal für Flüssigerdgas eing.
„Katar ist kein Partner der Wahl, sondern ein Partner der Notwendigkeit“, erklärte Nahost-Experte Sebastian Sons dazu im Sportausschuss des Bundestags. Westliche Regierungen hatten in der Vergangenheit allerdings sehr wohl eine Wahl – haben diese nur schlicht nicht genutzt. Da wären die französischen Präsidenten, die mit als Erste die Nähe zu Katar suchten und diese durch die „katarische Nationalmannschaft Europas“ Paris Saint-Germain zementierten. Nikolas Sarkozy ist hier besonderes zu nennen. Er verabschiedtee ein Gesetz, das katarische Unternehmen in Frankreich von Steuern befreit. Er war maßgeblich daran beteiligt, dass Katar bei PSG (seinem Lieblingsklub) einstieg. Und er soll sich intensiv darum bemüht haben, dass Frankreichs Exko-Mitglied Michel Platini für Katar stimmte. Dazu der ebenfalls nicht unbescholtene Ex-Fifa-Präsident Sepp Blatter: „Katar hat aufgrund höchster politischer Interventionen von französischer Seite gewonnen. Das weiß man, das ist bewiesen.“
Ebenfalls zu nennen sind hier aber auch die USA, die bei mehreren Projekten am Golf mitmischen. Und freilich auch Deutschland. Ex-Kanzlerin Angela Merkel reiste noch 2010 (im Jahr der WM-Vergabe an Katar) nach Doha und lobte die guten wirtschaftlichen Möglichkeiten Katars. Christian Wulff besuchte Katar als Niedersächsischer Ministerpräsident, um Geschäfte mit Volkswagen voranzubringen. Die Liste der politischen Einflüsse auf Katar ist lang, das Thema Katar sehr komplex.
Wie umgehen mit Katar? Das war zuletzt die Leitfrage bei einer Podiumsdiskussion in der Universität Augsburg. Den in der Vergangenheit viel zitierten WM-Boykott wird es nicht geben. Den unnötigen Kick gegen Al-Duhail zum Glück aber auch nicht.